PROLOG:
Auf der Bank im Warteraum sitzt ein blondes,stark geschminktes Mädchen. Sie ist auffallend groß, fast einen Meter achtzig wahrscheinlich. Sie trägt eine Netzstrumpfhose, einen kurzen schwarzen Rock und einen schwarzen Mantel mit Pelzkragen. Obwohl es heiß und stickig ist herinnen, hat sie die Hände in den Taschen vergraben und die Schultern hochgezogen, als würde sie frieren. Am Boden, an ihre Beine gelehnt, steht ein dunkelroter Rucksack.
Bis auf eine alte Dame, die schweigend am anderen Ende der Bank sitzt, ist das Mädchen allein in Zimmer; ab und zu wird die Stille von Lautsprecherdurchsagen und dem Hupen einfahrender Züge unterbrochen.
Das Mädchen erinnert sich genau, was er gesagt hat: Einundzwanzig Uhr. "Einundzwanzig Uhr", wiederholt sie leise, und dann noch einmal: "Einundzwanzig Uhr".
1.
Der Wecker klingelt. Mühsam habt Katharina Tachanow den Kopf aus dem Kissen. Sie sieht auf die Uhr. Tatsächlich, es ist schon zwanzig nach sechs. Trotzdem lässt sie den Kopf wieder auf den Polster sinken. Es ist noch so schön finster im Zimmer. Kaum ist sie wieder eingenickt, reißt der Wecker sie ein zweites Mal aus dem Schlaf. Jetzt ist es halb sieben. Katharina seufzt, sie schlägt die Decke zurück und steht langsam auf. Auf ihren Armen bildet sich eine Gänsehaut; sie friert. Verschlafen wankt sie zum Lichtschalter, jetzt ist das Zimmer hell erleuchtet, das tut in den Augen weh.
Das Mädchen zieht sich das Nachthemd über den Kopf, läuft zum Kasten, kleidet sich eilig an. Sie hasst es, nackt zu sein.
Dann packt sie ihre Tasche, zieht die schwarzen Stiefel an, den Mantel mit dem Pelzkragen, Handschuhe. Sie wirft einen Blick in die Küche; eine leere Kaffeetasse steht einsam auf dem Tisch. Ihr Vater ist längst in der Arbeit, die Frühschicht beginnt um vier. Er macht meistens zwei Schichten, die Früh- und die Mittags-, oder die Mittags- und die Spätschicht. Manchmal auch die Früh- und die Spätschicht, da bekommt er mehr Nachtzulagen, aber dafür muss er auch zweimal in die Fabrik fahren. Er hat kein eigenes Auto, Katharinas Vater, aber für etwas Geld kann er sich das der Nachbarn borgen, die fahren sowieso nicht damit.
Katharina seufzt noch einmal. Leise dreht sie das Licht ab und schließt die Küchentür. Sie geht gebückt wie eine alte Frau, als sie die Wohnung im fünften Stock verlässt.
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