Atommüll-Transport nach Gorleben von vielen Protesten begleitet

von Andreas Fischer und Britta Pawlak - aktualisiert - 23.11.2011

Seit 1995 kommt es zwischen Deutschland und Frankreich sowie England immer wieder zu so genannten Castor-Transporten, die von erheblichen Protesten begleitet werden. Mit Blockaden und Demonstrationen wollen die Gegner der Atommüll-Transporte diese so lange wie möglich aufhalten. Auch der dreizehnte Castor-Transport, der am Mittwoch (23. November) im französischen La Hague startete, wird durch viele Protestaktionen immer wieder aufgehalten. Wie entsteht all der Atommüll und warum gibt es Castor-Transporte? Was sind die Probleme der Kernenergie?

Einige Castor-Gegner errichten Sitzblockaden auf den Gleisen. Manche ketten sich auch daran fest. Ziel der Aktionen ist es, den Transport so lange wie möglich aufzuhalten.
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Seit Mittwoch rollt der dreizehnte Castor-Zug von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in Richtung Gorleben, das Zwischenlager für den strahlenden Atommüll in Wendland/ Niedersachsen. Es wird der letzte Castor-Transport von Frankreich nach Deutschland sein, im Anschluss folgen dann die Transporte aus Großbritannien.

Wie immer wurde der Atommüll-Transport schon im französischen Teil der Strecke von Protesten und Blockaden aufgehalten. Viele Franzosen fürchten sich vor den extrem gefährlichen Inhalten der Castoren. Sie möchten nicht, dass sie durch das Land befördert werden und protestieren generell gegen Atomenergie. Auch in Deutschland versammeln sich jedes Mal viele Protestler, um den Transport des gefährlichen Abfalls durch Aktionen wie Sitzblockaden auf den Gleisen aufzuhalten. Sie fordern das Abschalten der Atomanlagen, ein Ende der Atommüll-Transporte und wollen, dass Gorleben als mögliches Endlager für Atommüll endgültig aufgegeben wird. Tausende Aktivisten besetzen auch dieses Jahr wieder die Gleise und halten den Zug immer wieder auf.

Die meisten von ihnen demonstrieren friedlich gegen die Castor-Transporte. Es kam aber auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einigen Protestlern und der Polizei, mehrere Demonstranten und Polizisten wurden dabei verletzt. Im niedersächsischen Wendland sollen Atomkraftgegner zwei Polizeiwagen mit Molotowcocktails in Brand gesetzt haben. Nach Angaben der Polizei sollen Beamte von einigen Protestlern auch mit Steinen angegriffen worden sein. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Pfeffersprays und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Während die Polizisten die vermehrte Aggressivität der Atomkraftgegner hervorheben, kritisieren viele Aktivisten, dass Polizeibeamte auch gegen friedliche Protestler mit Gewalt vorgehen würden.

Wie entsteht all der Atommüll?

Über 26 Prozent des Stroms in Deutschland wird durch Kernenergie produziert. Zurzeit gibt es in Deutschland 17 aktive Atomkraftwerke.
Wikimedia Commons
Seit 1990 ist der Stromverbrauch in Deutschland um elf Prozent gestiegen und lag 2010 bei ungefähr 608 Terrawattstunden. Ein großer Teil des Stroms (über 26 Prozent) stammt aus Kernenergie. Derzeit sind in Deutschland 17 Kernkraftwerke in Betrieb. Der Brennstoff für Atomkraftwerke ist das chemische Element Uran, mit dem die so genannten Brennstäbe hergestellt werden. Ähnlich wie bei einer Batterie ist jeder Brennstab auch irgendwann einmal am Ende. Allerdings kann er danach nicht einfach weggeworfen werden, da er wegen seiner hochradioaktiven Strahlung extrem gefährlich ist.

Weil es noch kein geeignetes Endlager für die verbrauchten Brennstäbe gibt, werden diese zunächst in eine "Wiederaufbereitungsanlage" gebracht. Dort werden sie aber nicht - wie manche vermuten - recycelt, also wiederverwertet. Sie werden stattdessen zerlegt, wodurch einige chemische Bestandteile zurück gewonnen werden und sich die Menge an radioaktivem Abfall verringert. Jedoch ist das, was aus der Anlage zurückkommt, nicht weniger gefährlich, sondern hochradioaktiver, extrem giftiger Müll. Dieser Atommüll wird in Glas eingeschmolzen und in Behältern aus Gusseisen verstaut. Diese "Castor-Behälter" (oder einfach Castoren) sind Spezialbehälter zur Lagerung und zum Transport von radioaktivem Müll.

Warum gibt es Castor-Transporte?

Beladung eines Castor-Transportwagons
Dennis140, Regi51/ Wikimedia Commons
Insgesamt existieren nur sehr wenige Wiederaufbereitungsanlagen - in Deutschland gibt es seit 1990 überhaupt keine mehr. In den 1980er Jahren sollte zwar eine neue Anlage im bayerischen Wackersdorf gebaut werden, doch die Proteste in der Bevölkerung waren so groß, dass das Vorhaben schließlich aufgegeben wurde. Keiner möchte in seiner näheren Umgebung eine solch gefährliche Anlage haben, in die der Atommüll des ganzen Landes gebracht wird. Da außerdem immer noch unklar ist, wo der radioaktive Müll später einmal hingebracht werden soll, befürchteten die Anwohner, darauf "sitzen zu bleiben".

Also wurde der Atommüll aus Deutschland bis ins Jahr 2005 nach La Hague in Frankreich und in die englische Anlage Sellafield befördert. Deutschland hat sich jedoch verpflichtet, den Restmüll wieder zurück zu nehmen. Seit 1977 wird in einem ehemaligen Salzbergwerk in der Nähe von Gorleben im Nordosten von Niedersachsen geprüft, ob dort ein sicheres Endlager für radioaktiven Müll entstehen könnte. Doch schon bald stellte sich heraus, dass Wasser in die Salzspalten eindringen könnte und das Bergwerk als Endlagerstätte nicht geeignet ist.

Aus Mangel an Alternativen entschied man sich dennoch, die Castor-Behälter zunächst in einem "Zwischenlager" in Gorleben zu sammeln, bis man ein besseres Endlager finden würde. Allerdings befürchten die Bewohner seitdem, dass am Ende trotz der drohenden Gefahr eines Wassereinbruchs das Salzbergwerk die "letzte Ruhestätte" für die Castoren sein wird.

Castorlager - "tickende Zeitbomben"?

Gorleben als Endlager? Ein geeignetes Lager für hochradioaktiven Atommüll konnte bisher nicht gefunden werden.
Bundesministerium für Strahlenschutz
Die Menschen fühlen sich von dem Zwischenlager und den Transporten zunehmend bedroht. Sie befürchten zum einen, dass es beim Transport zu einem Unfall kommen könnte, bei dem möglicherweise durch einen beschädigten Castor-Behälter Radioaktivität entweichen würde. Zum anderen ist unklar, ob die Castoren so lange halten, bis sie endlich in ein sicheres Endlager gebracht werden. Wer möchte schon neben einer "tickenden Zeitbombe" wohnen?

Der Atomausstieg wurde in Deutschland im Jahr 2000 von der damaligen Regierung aus SPD und Grünen entschieden - alle deutschen Atomkraftwerke sollten bis spätestens 2022 abgeschaltet werden. Die jetzige Bundesregierung aus CDU und FDP hat 2010 zunächst beschlossen, dass die Kernkraftwerke doch um durchschnittlich zwölf Jahre länger laufen sollen. Diese Laufzeitverlängerung, die von Beginn an sehr umstritten war, wurde allerdings nach der Atom-Katastrophe in Japan rückgängig gemacht. Immer mehr Menschen haben sich gegen die Kernenergie ausgesprochen und der Druck auf die Regierung wuchs. Bisher haben nur sehr wenige Länder einen Verzicht auf Kernenergie geplant: Er wurde 1978 in Österreich, in den 80er Jahren in Schweden und Italien sowie 1999 in Belgien beschlossen. Weltweit befinden sich jedoch zahlreiche neue Kernkraftwerke im Bau.

Was können Demonstranten bewirken?

Anti-Castor-Demonstration in Gorleben im Jahr 2010
Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, Flickr
Da die Proteste mittlerweile zu jedem Castor-Transport dazu gehören, werden die Transporte von einem Großaufgebot der Polizei abgesichert. Eine Verspätung von mehreren Stunden ist bereits im Zeitplan eingerechnet. Die Route des Transports ist geheim und wird notfalls kurzfristig geändert, sodass die Demonstranten versuchen, gleich mehrere mögliche Wege zu blockieren.

Einige Menschen ketten sich auf der Bahnstrecke sogar an die Gleise. Doch auch diese Blockaden halten den Transport nur für einige Stunden auf. Den Demonstranten wird es wohl auch in Zukunft nicht gelingen, die Castor-Transporte zu verhindern. Doch es geht ihnen vor allem darum, die Aufmerksamkeit auf die Gefahren der Kernenergie und die Atommüll-Transporte zu lenken.

Befürworter der Atomenergie argumentieren damit, dass diese Art der Energiegewinnung kostengünstig sei. Außerdem werden kaum umweltbelastende Treibhausgase ausgestoßen, welche vor allem durch Kohlekraftwerke entstehen. Zudem befürchtet man in manchen Ländern, dass es zu wenig Alternativen zur Energieerzeugung gibt, wodurch es zu einer Energiekrise kommen und man in große Abhängigkeiten zu anderen Ländern geraten könnte.

Strahlenverseuchung, Super-GAU und verheerende Folgeschäden

1986 ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine ein Super-GAU, der schlimmste Unfall in einem AKW. Bild: Der beschädigte Reaktor im AKW Tschernobyl 2003
Elena Filatova
Atomkraftgegner sind der Ansicht, dass diese Argumente in keinem Verhältnis zu den erheblichen Risiken der Kernenergie stehen. Bereits der "normale Betrieb" von Atomkraftwerken sei problematisch. Bei der Uranförderung werden extrem gesundheitsschädigende radioaktive Stoffe freigesetzt. Kernkraftwerke bergen zudem große Gefahren: Durch Mängel oder Unfälle können radioaktive Strahlen austreten.

Im schlimmsten Fall käme es zu einem Super-GAU ("größter anzunehmender Unfall"), bei dem riesige Gebiete von den Strahlen verseucht würden - eine solche Katastrophe ereignete sich 1986 im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl. Viele Menschen starben damals sofort, zahlreiche Menschen erkrankten schwer und noch heute kennt man nicht das tatsächliche Ausmaß dieses Unfalls. Man nimmt an, dass hunderttausende Menschen an der Strahlenverseuchung erkranken und sterben werden oder bereits daran gestorben sind. Folgeschäden einer Strahlenverseuchung sind Krebserkrankungen, Missbildungen von ungeborenen Kindern, genetische Schädigungen und viele andere Krankheiten.

Schon kleine Störfälle sind gefährlich

Proteste von Atomkraftgegnern machen Politik und Öffentlichkeit auf die erheblichen Gefahren der Kernenergie aufmerksam.
Denis Apel/ Wikimedia Commons
Aber auch bei nur kleineren Störfällen könnte Radioaktivität freigesetzt werden. Schon geringste Mengen sind extrem schädlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. In vielen Regionen nahe den Atomkraftwerken soll eine überdurchschnittlich hohe Rate an Krebserkrankungen festgestellt worden sein. Auch die Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield macht immer wieder negativ auf sich aufmerksam. Es soll dort unkontrolliert Radioaktivität ausgetreten sein und verhältnismäßig viele Fälle von Leukämie-Erkrankungen bei Kindern und Senioren geben.

Die Schattenseiten der Atomenergie sind so groß, dass immer mehr Menschen für einen schnellen Atomausstieg sind. Bis heute kennt man nicht alle Schäden und Risiken eines mit radioaktiven Strahlen verseuchten Gebietes. Auch weiterhin werden weltweit Atomkraftgegner demonstrieren oder Atommüll-Transporte mit Protestaktionen aufhalten. Zwar können sie diese nicht verhindern - ihre Demonstrationen bewirken jedoch, Politik und Öffentlichkeit auf die Gefahr der Kernenergie aufmerksam zu machen, die nicht außer Acht gelassen werden darf.

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letzte Aktualisierung: 29.11.2011

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