Nach Erdbeben und Tsunami droht Japan eine Atomkatastrophe

von Andreas Fischer - 17.03.2011

Am vergangenen Freitag (11. März) hat sich ein sehr starkes Erdbeben vor der Pazifikküste Japans ereignet. Das Erdbeben war auch in der Hauptstadt Tokio, die knapp 400 Kilometer von dessen Zentrum entfernt liegt, minutenlang zu spüren und soll das schwerste in der Geschichte Japans gewesen sein. Da der Ursprung des Erdbebens im Meer lag, wurden gewaltige Wellen ausgelöst, die kurze Zeit später schwere Verwüstungen anrichteten. Auch mehrere Atomkraftwerke wurden dabei beschädigt - so schwer, dass nun eine nukleare Katastrophe droht, bei der große Mengen an gefährlicher radioaktiver Strahlung freigesetzt würden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einem Reaktorblock oder mehreren Blöcken des Atomkraftwerks Fukushima die Kernschmelze bereits eingesetzt hat.

Unter den japanischen Inseln stoßen vier tektonische Platten aneinander. Dadurch kommt es in der Region vermehrt zu Erdbeben.
Wikipedia

Japan ist ein Inselstaat, der sich vor der Ostküste Asiens entlang streckt. Das Besondere an dieser Lage ist, dass weit unten im Erdinneren gleich vier verschiedene Kontinentalplatten gegeneinander stoßen: Die Nordamerikanische Platte, die Eurasische Platte, die Philippinische Platte und die Pazifische Platte. Überall dort, wo verschiedene Erdplatten aufeinander treffen, kommt es häufig zu Vulkanismus und Erdbeben. So wird der gesamte Pazifische Ozean von einem Ring aus Vulkanen umschlossen, den man auch "Pazifischen Feuerring" nennt. Die Gefahr von starken Erdbeben und Tsunamis - also in der Folge von Erdstößen entstehende Riesenwellen - ist hier besonders hoch.

Häufig gibt es in Japan leichtere Erdbeben, in größeren Zeitabständen finden aber auch immer wieder schwerere Erdbeben statt. Zuletzt hat sich ein solches schweres Beben am 17. Januar 1995 ereignet - damals kamen mehr als 6.000 Menschen ums Leben und hunderttausende Gebäude wurden zerstört. Noch deutlich mehr Todesopfer forderte ein Beben im Jahr 1923, bei dem 142.800 Menschen starben. Die Japaner leben also im Bewusstsein der ständigen Bedrohungen durch die Naturgewalten und haben viele Vorkehrungen getroffen, um die verheerenden Folgen von schweren Erdbeben abzulindern: Moderne Häuser und Wolkenkratzer - von denen es vor allem in der Hauptstadt Tokio unzählige gibt - werden auf speziellen Federungen gebaut, um die Erdstöße größtenteils auszugleichen, jedes Jahr findet eine große Übung zum Katastrophenschutz statt und Kinder lernen schon früh, wie man sich im Falle eines plötzlichen Erdbebens verhält.

Tsunami überrollt Nordostküste Japans

Riesenwellen, so genannte Tsunamis, können entstehen, wenn unter dem Meeresboden die Erde bebt. Die gewaltigen Wassermassen können sich meterhoch auftürmen.
Wikipedia -Ilhador-

Doch trotz aller Vorbereitungen und Berechnungen sind Erdbeben nicht beherrschbar. Nachdem am 11. März die Erde mehrere Minuten gebebt hatte, überrollte knapp eine Stunde später eine gigantische Welle mit einer Höhe von zehn Metern die japanische Nordostküste. Zwar hatten die Behörden unmittelbar nach dem Beben die höchste Tsunami-Warnstufe ausgerufen, denn Japan verfügt über ein Tsunami-Frühwarnsystem. Jedoch hatten viele Menschen trotzdem nicht mehr genügend Zeit, um sich vor den Wassermassen in Sicherheit zu bringen. Zudem sorgte ein heftiges Nachbeben zusätzlich für chaotische Zustände. Die Welle riss alles mit sich, was sich ihr in den Weg stellte: Boote wurden gegen die Küste geschleudert, Autos und sogar ganze Häuser ins Meer gespült.

Ganze Städte wurden dem Erdboden gleich gemacht. Nach der Katastrophe wurde das gesamte Ausmaß erst langsam deutlich. Schneisen der Verwüstung reichen kilometerweit ins Landesinnere, die Städte sind menschenleer. Rettungstruppen haben erhebliche Schwierigkeiten, sich in die betroffenen Gebiete voranzuarbeiten. Inzwischen ist die Zahl von Toten und vermissten Menschen auf über 15.000 gestiegen. Ein Großteil der Vermissten wird noch in den Trümmerbergen der vom Tsunami überschwemmten Siedlungen im Nordosten Japans vermutet. Die Rettungskräfte haben die Hoffnung praktisch aufgegeben, noch Überlebende zu finden.

Es droht eine nukleare Katastrophe

Ein Helfer in Rikuzen-Takaata. Die Stadt in der Präfektur Iwate wurde schwer durch den Tsunami getroffen.
© UNICEF/NYHQ2011-0427/Dean

Japan ist ein hoch entwickeltes Industrieland mit einem gewaltigen Bedarf an elektrischem Strom. Neben Kohle und Erdgas bildet Kernkraft einen der drei Stützpfeiler der japanischen Stromerzeugung. Alle japanischen Atomkraftwerke sind mit Erdbebenmessgeräten ausgestattet, welche die Reaktoren ab einer gewissen Stärke automatisch herunterfahren. Am Meer liegende Kraftwerke haben Mauern gegen Tsunamis und sind darauf ausgelegt, Erdbeben der Stärke 7,75 standzuhalten - was bereits einen sehr hohen Wert darstellt und zuvor in Japan noch nie gemessen wurde. Die Stärke eines Erdbebens wird auf einer Skala angegeben, deren angenommenes Skalenende bei 10,6 liegt, denn ab diesem Wert würde die Erdkruste vollständig auseinander brechen.

Das Erdbeben vom 11. März hatte allerdings eine Stärke von 9,0. Auch wenn dieser Wert durchaus für möglich gehalten wurde, waren die Reaktoren also nicht darauf vorbereitet. Insgesamt elf Atomkraftwerke wurden automatisch heruntergefahren. Im AKW (Atomkraftwerk) Onagawa brach daraufhin ein Brand aus und aufgrund der erhöhten Radioaktivität wurde der atomare Notstand ausgerufen. Zwei Tage später gab die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) für dieses Kraftwerk wieder Entwarnung. Einen weitaus dramatischeren Verlauf nahmen die Vorfälle im Kernkraftwerk Fukushima 1. Denn nach dem Herunterfahren müssen die extrem heißen Brennstäbe der Reaktoren unbedingt weiter gekühlt werden, um eine Überhitzung und dadurch eine drohende Kernschmelze zu verhindern. Für die Kühlung nach einer Notabschaltung waren mehrere Diesel-Generatoren vorgesehen, die jedoch durch den Tsunami zerstört wurden. Die Mauern des Kraftwerks waren nicht hoch genug.

In mehreren Reaktoren liegen die Brennstäbe frei

Satellitenaufnahme von vier der sechs Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima 1, als sie noch intakt waren.
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Seitdem verschlechterte sich die Situation von Stunde zu Stunde, Tag zu Tag. In allen sechs Blöcken des Kernkraftwerks Fukushima 1 gibt es erheblich Probleme mit der Kühlung der Brennstäbe. Ein Brennstab ist eine mit Brennstoff gefüllte Röhre, die von einer Hülle aus Metall ummantelt ist. Sogar verbrauchte Brennstäbe müssen noch mehrere Jahre lang gekühlt werden, damit keine Temperaturen entstehen, bei denen die Stäbe beschädigt werden und schmelzen. Aufgrund der Überhitzung kam es in mehreren Reaktoren zu Explosionen, die die Schutzmäntel der Reaktorblöcke absprengten. Die gesamte Atomanlage sieht auf Satellitenaufnahmen und Fernsehbildern mittlerweile aus wie eine Ruine. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einem Reaktorblock oder mehreren Blöcken die Kernschmelze bereits eingesetzt hat. Mehrere Versuche, die Brennstäbe auf anderen Wegen abzukühlen - zum Beispiel durch den Hubschrauber-Abwurf von Wasserbomben oder durch Wasserwerfer - haben wenig oder gar nicht zur Verbesserung der Situation beigetragen.

Die Umgebung des Kraftwerks wurde in einem Umkreis von 20 Kilometern evakuiert - das bedeutet, man hat alle Menschen aus diesem Gebiet in Sicherheit gebracht. Die Atomanlage gerät immer weiter außer Kontrolle. Die Betreiberfirma des Kraftwerks Tepco hat die meisten Mitarbeiter aus dem betroffenen Kraftwerk abgezogen. Nur noch eine Notbesetzung aus 50 Technikern und etwa 200 Feuerwehrleuten versucht nun, einen so genannten Super-GAU zu verhindern. Ein Super-GAU bezeichnet den größten anzunehmenden Unfall (GAU), der in einem Kernkraftwerk passieren kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Brennstäbe schmelzen und erhebliche Mengen an Radioaktivität freigesetzt werden.

Eine solche Katastrophe ereignete sich 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat. Damals starben viele Menschen sofort, zahlreiche erkrankten schwer, und noch heute ist das tatsächliche Ausmaß des Unfalls nicht abzusehen. Experten vermuten, dass hunderttausende Menschen an der nuklearen Verseuchung erkranken und sterben werden oder bereits daran gestorben sind. Folgeschäden der radioaktiven Strahlung sind Krebserkrankungen, Missbildungen von ungeborenen Kindern, genetische Schädigungen und andere Krankheiten.

Verheerende Folgen für Menschen und Umwelt befürchtet

Die Atomkatastrophe in Japan hält die Welt in Atem. Das Ausmaß der radioaktiver Verstrahlung rund um die Millionenstadt Tokio ist nicht abzusehen.
Helles Köpfchen

Da immer wieder Radioaktivität aus den beschädigten Reaktoren austritt, spielt nun die Windrichtung die entscheidende Rolle dabei, wohin sich die extrem gefährliche Strahlung ausbreitet. Diese ist weder sichtbar noch zu hören oder zu riechen - sie lässt sich nur mit speziellen Geräten messen. Überall in Japan machen sich die Menschen daher große Sorgen, dass sie verstrahlt werden könnten. Aber auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Nordamerika ist die Angst vor der radioaktiven Verseuchung groß. Zum Schutz haben sich viele Menschen Jodtabletten gekauft - diese sollen bei einer so genannten "Kontamination" ("Verunreinigung"), also einer Verstrahlung mit Radioaktivität, dabei helfen, die Schilddrüse an der Aufnahme von radioaktiven Jod zu hindern.

Viele Menschen - vor allem Ausländer, die Japan als Touristen besucht haben oder dort arbeiten - haben Japan bereits verlassen oder sind in den Süden des Landes geflohen. Der Großraum Tokio mit seinen fast 35 Millionen Einwohnern ist nur etwa 250 Kilometer vom AKW Fukushima 1 entfernt. Bei einer nuklearen Katastrophe würde dies nicht ausreichen, um vor einer Verstrahlung sicher zu sein. Die langfristigen Folgen eines Super-GAUs sind überhaupt nicht absehbar. Ganze Landstriche um das Kraftwerk wären für Jahrzehnte unbewohnbar, da sich radioaktive Strahlung nur sehr langsam abbaut. Es besteht zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nur noch wenig Hoffnung, dass ein solches Unglück noch verhindert werden kann - es droht eine weitere schlimme Katastrophe für das Land Japan, seine Bewohner und die Umwelt. Auch die benachbarten Regionen sind von einer atomaren Verstrahlung bedroht. In Deutschland und anderen europäischen Ländern besteht nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation aufgrund der Entfernung selbst im Falle eines Super-GAUs keine unmittelbare Gesundheitsgefahr.

Die Ereignisse in Japan führen nach der Katastrophe von Tschernobyl Menschen weltweit erneut die großen Gefahren der Atomkraft vor Augen. Überall sind die Diskussionen um die Sicherheit von Atomkraftwerken wieder angeheizt worden. In Deutschland reihten sich am vergangenen Wochenende etwa 60.000 Menschen bei einer Demonstration gegen die Weiternutzung von Kernenergie in eine Menschenkette ein. Neuesten Umfragen zufolge ist eine klare Mehrheit der deutschen Bevölkerung für den Atomausstieg. Die Bundesregierung (CDU/CSU und FDP) beschloss kurzerhand, sieben ältere Atommeiler vorübergehend abzuschalten. Kritiker sehen darin einen Versuch der Regierungsparteien, Wählerstimmen für die bevorstehenden Landtagswahlen zu sichern und bezeichneten die Kehrtwende als "unglaubwürdig". Denn erst vor kurzem hat die Regierung mit Überzeugung die Laufzeiten der deutschen AKWs verlängert - entgegen massiver Kritik seitens der Opposition (das sind die Nicht-Regierungsparteien SPD, die Grünen und die Linke) und einem Großteil der deutschen Bevölkerung.

Die Nachrichten und Fernsehbilder, die uns aus Japan erreichen, sind erschreckend und bedrückend. Überall auf der Welt ist die Sorge groß, dass Japan nach dem verheerenden Erdbeben und dem darauf folgenden Tsunami nun auch noch von einer nuklearen Katastrophe heimgesucht wird. In unserem Forum kannst du dich mit anderen über die Ereignisse und deine Gedanken dazu austauschen.

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letzte Aktualisierung: 19.03.2011

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