Thema: Psychologie - Borderline bei Jugendlichen, mit realem Fallbeispiel

(1 Posting)

Keep_On - Avatar

Postings: 15

Mitglied seit
15.08.2017

Keep_On - Avatar

Keep_On (23) aus

Postings: 15

Mitglied seit 15.08.2017

schrieb :

#1

Borderline – Persönlichkeitsstörung bei Jugendlichen

Um darauf einzugehen, möchte ich euch nochmal die offiziellen Diagnosekriterien näher bringen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe die schon in meinem anderen Beitrag über Borderline allgemein beschrieben. Ich werde auch gleich selbst dazu schreiben, was auf mich zutrifft (da ich ja selbst betroffen bin).

 

Kriterien nach Handbuch ICD-10

Es müssen mindestens 5 davon erfüllt sein:

 

  1. verzweifeltes Bemühen, Alleinsein zu verhindern bzw. nicht verlassen zu werden (trifft auf mich nur sehr bedingt zu!)

  2. intensive, aber instabile Beziehungen zu Mitmenschen: Wechsel von Idealisierung und Entwertung von Personen (trifft auf mich zu!)

  3. Identitätsstörung (trifft teilweise auf mich zu!)

  1. Impulsivität mit mindestens 2 selbstschädigenden Verhaltensweisen (selbstschädigendes Verhalten wie z.B. Drogenmissbrauch, erhöhter Alkoholkonsum, Leichtsinnigkeit, Risikoreiches Verhalten, flüchtige und häufige sexuelle Kontakte zu immer anderen Partnern, etc.) (Risikoreiches Verhalten und Leichtsinnigkeit trifft auf mich zu! Alles andere nicht!)

  2. Selbstverletzendes Verhalten und/oder wiederholte Selbstmorddrohungen oder -versuche (trifft auf mich zu!)

  1. Instabilität von Gefühlen/Instabile Gefühlswelt (trifft auf mich zu!)

  2. chronisches Leere – Gefühl (trifft teilweise auf mich zu!)

  1. starke Wut und Unfähigkeit, diese zu kontrollieren (trifft teilweise auf mich zu!)

  2. dissoziative ( Dissoziation bezeichnet in der Psychologie das teilweise bis vollständige Auseinanderfallen von normalerweise zusammenhängenden Funktionen der Wahrnehmung, des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität und der Motorik) Symptome (trifft teilweise auf mich zu! … ist mir schon passiert, aber passiert eher seltener); stressabhängige paranoide Fantasien. (trifft auf mich zu!)

 

Eindeutiger geht es bei mir ja wohl fast nicht :D :D

 

Fallbeispiel eines Patienten bzw. einer Patientin (es geht nicht um mich!)

Patientin ist knapp 15 Jahre alt. Überwiesen mit sehr hoher Dringlichkeit, von der Hausärztin, in ambulante psychiatrische Behandlung.

 

Mit der Diagnose einer fraglich akuten Selbstmordgefährdung, Selbstverletzung, starken Impulskontrollverlusten, Bulimie, extremen Stimmungsschwankungen und massiven Problemen in der Familie sowie mit zwischenmenschlichen Beziehungen.

 

Zu diesem Zeitpunkt ist die Patientin bereits seit rund 2 Jahren (seit dem 13. Lebensjahr) in psychologischer Behandlung, konnte aber bis dato noch keine ausschlaggebenden Fortschritte machen.

 

Die Eltern des Mädchens bestanden auf eine stationäre Therapie bzw. Behandlung, da ihre Tochter sich stark selbst verletzte und des Öfteren Suiziddrohungen aussprach Die Therapie wurde schließlich realisiert und das Mädchen war 3 Monate in der Kinder – und Jugendpsychiatrie in Behandlung. Dort gab es für sie Gruppen – und Einzeltherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Bewegungstherapie, Achtsamkeitsgruppe, Kochgruppe, Ergotherapie und Freizeitaktivitäten, zumeist in der Gruppe. Auch Unterrrichtseinheiten gab es für sie, jedoch nur sehr reduziert. Leider ging es der Patientin trotz der Therapie durchgehend eher schlecht als gut, sodass sich keine nennenswerte Verbesserung des Gesundheitszustandes abzeichnete.

 

Obwohl eine eindeutig Borderline – typische Symptomatik vorlag, hat die behandelnde Psychiaterin das Mädchen nicht mit dieser Diagnose entlassen. Stattdessen wurden diese Diagnosen auf dem Entlassbericht festgehalten:

 

- Angst und depressive Störung gemischt (F41.2)

- soziale Phobie (F40.1)

- somatoforme Störung (F45)

- Derealisation (F48.1)

- Polytoxikomanie (F19.2)

 

(Übrigens sah es bei mir ähnlich aus, bevor ich endlich mal richtig diagnostiziert wurde … wofür ich selbst ganz schön hartnäckig sein musste. Nur auf mein Drängen hin, hat man endlich mal näher hin gesehen. Also bei mir waren nicht die gleichen Diagnosen, aber ich hatte auch eine Liste. Habe ich immer noch, aber wenigstens ist die richtige Diagnose dabei.)

 

Erklärung: Diese F – Nummern bedeuten einfach nur, dass die Diagnose im ICD – 10 – Handbuch unter diesem sogenannten Diagnoseschlüssel zu finden ist.

 

Eine somatoforme Störung bedeutet, dass Betroffene aus seelischen Gründen körperliche Symptome entwickelt haben.

 

Derealisation bedeutet eine dauerhafte oder zeitweilige abnorme oder verfremdete Wahrnehmung der Umwelt.

 

Polytoxikomanie bedeutet multipler Substanzgebrauch/missbrauch. Also die häufige Einnahme von mehr als einer Droge oder Drogenart, mit dem Ziel, die Wirkung der Substanzen zu beschleunigen, zu verstärken oder eben bei verschiedenen Substanzarten eine Zusammenwirkung zu bekommen.

__________________________

Leider ist es oft so, dass nicht die richtigen Diagnosen gestellt werden, weil Psychiater zu vorsichtig sind, sie zu stellen. Auf der einen Seite ist Vorsicht auch gut. Aber wenn sie verhindert, dass jemand eine angemessene Behandlung bekommt, ist sie nicht mehr gut.

 

Bei Persönlichkeitsstörungen, wie z.B. Borderline, ist das besonders oft so. Das ist ein Stempel, den die Betroffen bekommen. Und der will nicht zu Unrecht gesetzt werden. Alle Diagnosen sind Stempel, aber Persönlichkeitsstörungen gehören eben zu den wasserunlöslichen Permanentstempeln, wenn man so will.

 

Bei Jugendlichen sind Fachleute noch vorsichtiger, da Persönlichkeitsstörungen eigentlich erst ab dem 18. Lebensjahr wirklich gestellt werden sollen. Vorher sind es eher Ausnahmen, bei besonders reifen Jugendlichen, die definitiv in ihrer geistigen Entwicklung ausgereift sind (reifer sind, als andere in dem Alter), oder bei besonders eindeutiger Symptomatik. Mit 15 ist die Diagnose noch seltener. Aber es gibt sie auch in dem Alter.

______________________

An den Klinikaufenthalt schloss sich eine tagesklinische Behandlung an, da die Patientin für den normalen Alltag mit Schule, etc. noch nicht stabil genug war. In der Klinik machte sie kleine Fortschritte, wie z.B. die leichte Verbesserung ihrer Impulskontrolle oder das Eindämmen der Selbstverletzung und die Skill – Anwendung stattdessen.

 

In der Tagesklinik gab es neben Unterrichtseinheiten auch Gruppen – und Einzeltherapie sowie Ergotherapie. Also eine sanfte Hinführung zum Alltag, der ihr bevorstand. Nach 4 Wochen war auch diese Behandlung vorbei und die Patientin konnte leicht gebessert, bei schwerer Grunderkrankung, entlassen werden.

 

Danach ging die Therapie ambulant weiter, bei dem Therapeuten, der auch schon vorher mit der Patientin 2 Jahre lang gearbeitet hat. Die Symptome des Mädchens bestanden weiter, wenn auch teilweise leicht gebessert.

 

Bei einem Gespräch mit der Mutter kristallisierte sich heraus, dass das Mädchen schon von klein auf dazu neigte, andere gegeneinander auszuspielen und sie zu manipulieren. Aus diesem Grunde waren ihre Freundschaften schon immer instabil. Zudem gab es immer wieder Probleme mit Gleichaltrigen. Ihre Tochter habe nicht mit Freunden, aber auch nicht ohne Freunde, können. Also nichts Halbes und nichts Ganzes. Dadurch entstand eine übertriebene Bindung an die Eltern, mit denen sie jedoch auch ständig stritt. Einerseits forderte sie Nähe ein, andererseits hielt sie ihre Eltern aber auch auf Abstand. Sie wollte und brauchte Nähe, konnte sie aber nicht ertragen. Ein ständiges Herziehen und Wegstoßen. Auf der einen Seite diese übertriebene Bindung zu den Eltern, auf der anderen Seite das ständige Streben nach Selbstständigkeit.

 

Bei der kleinsten Anforderung war das Mädchen überfordert und wurde aggressiv. Genauso bei Kritik. Wenn sie kritisiert worden war, rastete sie entweder aus, oder sie begann, sich selbst zu verletzen und sich selbst wehzutun.

 

Soweit die Aussagen der Mutter.

 

Die Patientin selbst sprach von starken Einsamkeitsgefühlen und unerträglicher Anspannung. Um die Anspannung herunter zu regulieren und mit den Gefühlen umzugehen, fand sie bisher nur den Weg der Selbstschädigung und Selbstverletzung. Sie fühlte sich unverstanden und in ihrer eigenen Haut sehr unwohl. Sie hasste sich selbst.

 

Entweder sie verletzte sich selbst aufgrund von Selbsthass zur Selbstbestrafung, oder sie tat es, um Anspannung zu kompensieren (wie eine Art Ventil, das durch die Verletzung geöffnet wird, um Druck abzulassen). Bei Kritik, egal wie konstruktiv sie geäußert wurde, war sie so verletzt, dass die sowieso schon durcheinander schwirrenden Gefühle explodierten und 2 verschiedene Reaktionen auslösen konnten. Meistens waren Aggression, Wut und Verzweiflung die Gefühle, die ihre Handlungen dann kontrollierten. Entweder sie bekam Wutausbrüche, oder sie verletzte sich selbst. Manchmal passierte auch beides auf einmal.

 

Die Selbstverletzung kam dann durch die Wut auf sich selbst, wenn ihr bewusst war, dass die Kritik berechtigt ist. Das Ausrasten kam in der Regel dann, wenn sie die Kritik als nicht gerechtfertigt empfand. Doch sie hat nie jemanden geschlagen oder Ähnliches. Die Wutausbrüche zeigten sich in Form von Wut, Weinen, Beschimpfungen und Selbstmorddrohungen – ankündigungen. Also doch schon die Aggression hauptsächlich auf sich selbst gerichtet.

 

Auf der einen Seite kann sie Alleinsein kaum bis nicht ertragen und braucht Nähe/Zuneigung. Auf der anderen Seite kann sie Menschen in ihrer Nähe nur schwer, und manchmal auch gar nicht, ertragen und muss sie wegstoßen.

 

Das Buch „Ich hasse dich, verlass mich nicht!“ ist ein bekanntes Buch über Borderline. Sehr interessant.

 

Ganz wichtig ist, zu wissen, dass das hier nur ein Fallbeispiel war. Es gibt auch andere Fälle, bei denen die Ausprägungen der verschiedenen Symptome anders gewichtet sind. Z.B. ist es bei Borderline auch oft so, dass die Betroffen sich nicht aktiv selbst verletzen. Auch ist Selbstverletzung nicht gleich Borderline. Es ist einfach nur ein mögliches Symptom von vielen. Zudem kann Selbstverletzung auch noch andere Gründe haben, außer Selbsthass und Druckabbau. Manche tun es auch, wenn sie dissoziative Zustände haben und sich nicht mehr richtig spüren können. Um sich wieder spüren zu können, verletzen sich manche selbst. Um wieder richtig in die Realität zurück zu finden. Ein starker Reiz, sozusagen. Psychische Erkrankungen sind sehr sehr vielfältig und jede einzelne Erkrankung hat viele Gesichter.

 

Dieser Fall, mit diesem Mädchen, ist nur ein Gesicht der Borderline - Störung. Eines von vielen. Auch stimmt es nicht, dass alle Borderliner manipulativ sind, nur weil es dieses Mädchen früher war. Das kann natürlich sein, muss aber nicht. Bloß nicht pauschalisieren. Nie, nie, nie verallgemeinern.

 

Es ist auch nur Zufall, dass es hier um ein Mädchen geht. Statistisch gesehen liegt der Prozentanteil der weiblichen Borderline - Patienten bei etwa 75% und der der männlichen bei 25%. Doch das kann man nicht wirklich so festlegen, da weibliche Betroffene deutlich öfter in Behandlung sind als männliche, und deshalb auch nur in die Statistik aufgenommen werden können. Die männlichen Betroffenen haben deutlich mehr Hemmungen, sich Hilfe zu holen, nicht zuletzt wegen des blöden Klischees: Männer müssen stark sein und dürfen keine Schwäche zeigen. Obwohl "sich Hilfe holen" ja eigentlich keine Schwäche sondern Stärke ist. Aber das sieht die Allgemeinheit anscheinend anders.

Ich selbst habe z.B. keinerlei Probleme mit dem Alleinsein … ich mag es sogar lieber. Obwohl das eigentlich eine der Hauptkriterien von Borderline ist. Aber es gibt auch Betroffene, auf die das eben nicht oder nur leicht zutrifft. Ich mag lieber allein sein, als mit Menschen zusammen. Und komme damit gut klar. Aber ich merke, dass ich Verlassensängste in Hinsicht auf Tod von Eltern und Angehörigen oder aufgrund von Scheidung meiner Eltern habe. Ich kann mich erinnern, dass ich früher immer Angst davor hatte, dass meine Eltern sterben. Wenn sie irgendwo hingingen, dann kam in mir schon als kleines Mädchen die Angst hoch, dass sie einen Unfall haben könnten oder so. Also dieses Katastrophendenken hatte ich z.B. schon von klein auf.

 

Ich bin gerade dabei , über ein sehr komplexes Thema zu schreiben und hoffe, dass ich es bald fertig habe und hier veröffentlichen kann.

 

LG

Neuen Beitrag erstellen

Die mit einem * gekennzeichneten Felder müssen ausgefüllt werden

Vorschau (neuer Beitrag)

Vielen Dank! Wir werden deinen Beitrag so schnell wie möglich prüfen und freischalten!

OK