Lexikon: Beschlussfähigkeit

Bei dem Begriff „Beschlussfähigkeit“ handelt es sich um die Vorgabe für Abstimmungen innerhalb einer Versammlung oder eines Vereinstreffens, dass immer eine bestimmte Anzahl der Mitglieder bei der Abstimmung anwesend sein müssen. Diese Anzahl ist von Versammlung zu Versammlung unterschiedlich und in Vereinen kann die benötigte Anzahl in der Satzung, also in der Vereinsordnung, festgelegt sein. Meist gibt es in Vereinen und Parlamenten wie dem Bundes- oder Landestag jedoch den Grundsatz, dass die Beschlussfähigkeit solange Bestand hat, bis sie nicht von einem Teilnehmer der Versammlung angezweifelt worden ist. Dies bedeutet, dass ein Mitglied einer Versammlung bei der Vermutung, dass weniger Mitglieder bei dem Treffen anwesend sind, als für einen Beschluss benötigt werden, seine Zweifel äußern darf.

Im wichtigsten deutschen Parlament, dem Bundestag, ist eine Beschlussfähigkeit gegeben, wenn sich mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Sitzungssaal während einer Abstimmung befinden. Hat ein Abgeordneter die Vermutung, dass dies nicht der Fall ist, kann er vor Beginn der Abstimmung die Beschlussfähigkeit anzweifeln. Dies kann durch eine ganze Fraktion, also einem Zusammenschluss von Mitgliedern des Bundestages, oder durch eine Zahl von 5 Prozent aller Anwesenden durchgeführt werden. Wenn der Sitzungsvorstand des Bundestages die Zweifel bestärkt und keine Beschlussfähigkeit feststellen kann, werden in einem bestimmten Verfahren die Stimmen der Anwesenden im Bundestag gezählt, um herauszufinden, ob der Bundestag beschlussfähig oder beschlussunfähig ist.

Diesen Vorgang nennt man auch „Hammelsprungverfahren“. Dabei verlassen alle Abgeordneten den Saal des Bundestages und betreten ihn danach einzeln durch eine von insgesamt drei Türen. Über den Türen steht jeweils ein Wort. Über der einen Tür steht „Ja“, über der anderen „Nein“ und über der dritten und letzten Tür steht das Wort „Enthaltung“. Je nachdem, wie ein Mitglied des Bundestages über die abzustimmende Frage denkt, wählt er die passende Tür. An jeder dieser Türen befinden sich zudem zwei Schriftführer, die laut mitzählen, wie viele Abgeordnete durch die jeweilige Tür gehen. Auf diese Art und Weise wird nicht nur die Abstimmung durchgeführt; so kann auch gezählt werden, ob die benötigte Menge an Abgeordneten vorhanden ist und ob der Bundestag beschlussfähig ist. Stellt sich heraus, dass der Bundestag beschlussunfähig ist, wird die Sitzung augenblicklich aufgelöst und vertagt. Dies bedeutet, dass sie zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal wiederholt wird.

Der Begriff „Hammelsprungverfahren“ geht höchstwahrscheinlich auf ein Holzbild zurück, dass sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts über einer der Türen im Reichstagsgebäude befand, in dem heute der Bundestag sitzt. Auf diesem Bild war eine Szene aus der griechischen Sage über Odysseus zu sehen. Odysseus, der mit seinen Männern von dem Zyklopen Polyphem, einem einäugigen Riesen, gefangen genommen worden war, versuchte mithilfe der Widder, die der Zyklop besaß, aus der Gefangenschaft zu fliehen. Da Odysseus Polyphem vorher geblendet, also blind gemacht hatte, untersuchte der Zyklop erfolglos einen Widder nach dem anderen und schaute, ob sich dort Odysseus und seine Männer befanden. Sowohl Hammel, als auch Widder sind andere Bezeichnungen für ein männliches Schaf. Mit der Anspielung an diese alte Sage nahm man die Vorgänge im deutschen Reichstag aufs Korn.

Das Hammelsprungverfahren wurde beispielsweise bei einer Sitzung am 15. Juni 2012 angewandt, als über ein Gesetz im Verlagswesen abgestimmt werden sollte. Obwohl eine reguläre Abstimmung zuvor durchgeführt wurde, kam man hinsichtlich des Gesetzes zu keiner Klarheit. Beim anschließenden Hammelsprung stellte man fest, dass nur 211 Mitglieder des Bundestages anwesend waren, anstatt der benötigten 311 Abgeordneten (Der Bundestag bestand zur damaligen Zeit aus 620 Mitgliedern). So musste die damalige amtierende Bundestagspräsidentin Petra Pau die Sitzung aufheben und vertagen.
Jedoch kann genauso der Fall eintreten, dass der Bundestag durch eine zu geringe Anzahl an Abgeordneten beschlussunfähig ist, dies jedoch von keinem angezweifelt wird. So konnte der Bundestag am 28. Juni 2012 eine Abstimmung über ein Meldegesetz trotz nur 26 anwesender Abgeordneten durchführen. Der Grund für diese sehr geringe Anzahl an Anwesenden war das gleichzeitig stattfindende Fußball-EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Italien.

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letzte Aktualisierung: 02.07.2015

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