Ich war damals vier. Ich kam vom Kindergarten heim und niemand war zuhause. Die Tür war offen und die Wohnung war still, so unheimlich still, dass ich jeden meiner Schritte laut und dröhnend wahrnahm. Ich spürte sofort, dass etwas richtig schlimmes passiert sein musste.
Ich setzte mich auf die Küchenbank und zog die Beine an. Ich wartete und wartete und wartete, und dabei starrte ich an die Wand, die war unendlich weiß, ohne einen Flecken, so weiß. Ich machte die Reißverschlüsse meiner rosa Sandalen auf und zu und drehte den Saum meines gepunkteten Röckchens um den Zeigefinger. Ich fragte mich, wo sie sein könnten, meine Mutter, mein Vater und meine große Schwester Sofie. Aber irgendwann hörte ich auf nachzudenken, und ich starrte nur noch an die Wand, an die weiße Wand, und ich hörte der Uhr beim Ticken zu, sie tickte laut und bedrohlich, und trotzdem verging die Zeit nicht. Das Fenster war ganz weit offen, ich fror, aber ich machte es nicht zu. Es war Ende Oktober damals, und ich war vier Jahre alt.
Heute bin ich zwölf. Ich denke nicht mehr oft an früher. Ich denke insgesamt nicht mehr sehr viel.
Meine Mutter hat uns damals verlassen und mein Vater im Grunde auch, obwohl er ja da ist, er ist immer da, ständig, körperlich zumindest. Aber er lebt für den Alkohol und ich habe Angst vor ihm. Meine Schwester ist jetzt achtzehn und muss viel lernen. Ich weiß, dass sie mir helfen will, aber sie kann es nicht. Sie will das Abitur schaffen und dann will sie raus von hier, jeder will raus von hier, aus dem beschissenen Haus in der beschissenen Kleinstadt, und vor allem Weg von meinem beschissenen Vater.
Es gibt nur eines, wofür ich meinem Vater dankbar bin. Er hat mich damals mitgenommen, wenn er mit dem Wagen zur Tankstelle gefahren ist. Auf der Tankstelle ist Zlatko. Und wenn es noch einen Menschen gibt in meinem Leben, dann ist das Zlatko. Ich glaube, ohne ihn wäre ich längst gestorben.