Als es passierte, saß ich gerade auf einem Schreibtischsessel vor Papas Computer und schaute mir gemeinsam mit meinem Bruder zum dritten Mal die Highlights des Classico an. Eigentlich mochte ich Fußball gar nicht so besonders, aber meinen Bruder. Den mochte ich so sehr, dass ich am liebsten jede freie Minute mit ihm verbrachte. Darum saß ich an diesem Tag auch vor dem PC, die Beine auf den Tisch gelegt, und guckte Highlights. Und genau in dem Moment, als Cristiano Ronaldo einen Freistoß aus 30 Metern Entfernung ans Lattenkreuz schoss, fiel ich vom Sessel. Bumm. Ganz plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung.
Mein Bruder hat zuerst gedacht, ich mache einen blöden Scherz. "Du bist wohl ein bisschen zurückgeblieben", hat er kopfschüttelnd gesagt. Weil es mir beim dritten Mal ansehen einfiel, aus Trauer über die vergebene Chance zu Boden zu sinken. Und das, wo das Spiel schon gestern Abend war. Und überhaupt hätte ich mich ja freuen sollen, schließlich war Barcelona meine Lieblingsmannschaft. Das hat mein Bruder vor ein paar Jahren für mich beschlossen.
Als ich darauf nichts sagte und mich auch nicht rührte, sagte er: "Jetzt ist es endgültig an der Zeit, dass sie in eine geschlossene Anstalt kommt". Und dabei lachte er. Als ich nach zweieinhalb Minuten noch immer nicht aufgestanden war, und mich außerdem übergeben hatte, hat mein Bruder dann doch ziemlich Angst gekriegt und nach Mama geschrieen. Aber die war in ein Gespräch mit ihren Freundinnen vertieft und hat zurückgebrüllt, dass sie gerade echt keine Zeit hatte. Also hat mein Bruder den Krankenwagen gerufen, und der ist dann auch gekommen, mit ein paar Rettungsleuten, die mich reanimierten. Als Mama sie ins Haus laufen sah, hatte sie dann doch plötzlich Zeit, sich gemeinsam mit ihren Freundinnen in die Tür zum Arbeitszimmer zu stellen und hysterisch zu kreischen.
Das alles hat mir mein Bruder gerade erzählt. Jetzt lag ich auf dem Krankenbett und lachte und lachte, obwohl das ziemlich wehtat in den drei Rippen, die mir der Notarzt bei der Reanimation gebrochen hatte.
Aber die Situation war auch verrückt genug: Ich lag unter dem Tisch in meiner eigenen Kotze und wurde von ein paar Rettungsmännern wiederbelebt, während mein Bruder blöd schaute und meine Mutter und ihre Freundinnen kreischend danebenstanden. Weil ich auf einmal gestorben war. Einfach so, ganz plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung. Und im Hintergrund schoss Cristiano Ronaldo zum ungefähr vierhundertsten Mal den Ball ans Lattenkreuz. Aus dreißig Metern Entfernung.
"Ich glaube, der schöne Cristiano wäre beleidigt gewesen, wenn er erfahren hätte, dass ich während seines phänomenalen Schusses einfach so unter den Tisch gefallen bin, und mich dann auch noch übergeben habe", sagte ich kichernd. "Dass du einfach so gestorben bist", fügte mein Bruder hinzu, "ohne auf den wichtigen Moment Rücksicht zu nehmen. Immerhin war sein Schuss im wahrsten Sinne des Wortes UMWERFEND". "Für mich zumindest". Ich nickte. Wir lachten noch immer, als plötzlich die aggressive Krankenschwester hereinkam und meinen Bruder anfuhr, dass er mich nicht so aufregen durfte. Und dann behauptete sie, die Besuchszeit sei jetzt zu Ende, und jagte ihn hinaus. Schlechter Zeitpunkt. Ich wollte ihm gerade erzählen, wie blöd meine Krankenschwester ist.
Eine halbe Stunde später taten meine Rippen noch immer weh. Nach dem Spaß mit meinem Bruder war meine Laune jetzt am Boden. Ich ärgerte mich, weil ich ihn etwas wichtiges zu fragen vergessen hatte: Welche Krankheit ich hatte. Einen Moment lang dachte ich daran, die Krankenschwester zu fragen. Aber das war definitiv KEINE gute Idee. Wer weiß, wie sie reagiert. Und ich war ihr hier ja völlig ausgeliefert, die Schläuche, an denen ich hing, machten jede Flucht unmöglich. Also schloss ich die Augen und schlief ein. Das war so eine besondere Fähigkeit von mir: innerhalb von Sekunden einzuschlafen, wann und wo ich wollte.
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