Alphabetisierung: Viele Menschen können nicht lesen und schreiben

Der "Weltalphabetisierungstag" am 8.9. erinnert an die Wichtigkeit von Bildung

von Tanja Lindauer - 08.09.2016

Für die meisten von uns ist es ganz selbstverständlich, dass sie lesen und schreiben können. Es gibt aber zahlreiche Menschen, die das niemals richtig gelernt haben. Auch sehr viele Erwachsene gehören dazu, sie sind so genannte "Analphabeten". Sie finden sich im Alltag oft nur schwer zurecht und haben schlechte Chancen auf einen Job. Mit dem Welttag der Alphabetisierung jährlich am 8. September soll genau auf diese Missstände aufmerksam gemacht werden. Betroffen sind vor allem Menschen in den ärmeren Ländern der Welt, darunter besonders viele Mädchen und Frauen. Aber auch in wohlhabenden Staaten wie Deutschland gibt es zahlreiche Analphabeten. Was sind die Gründe dafür? Und was bedeutet Alphabetisierung überhaupt?

Bei uns sind alle Kinder schulpflichtig und lernen ab der 1. Klasse lesen und schreiben.
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In dem Begriff "Alphabetisierung" steckt das Wort "Alphabet", also das "ABC". Gemeint ist damit das Fördern, Lehren und Erlernen der Lese- und Schreibfähigkeit eines Menschen. Weltweit gibt es mehr als 750 Millionen Menschen, die das Lesen und Schreiben nie richtig gelernt haben, sie werden "Analphabeten" genannt. Besonders Menschen in den armen Ländern der Welt sind betroffen - und dort im Besonderen Mädchen und Frauen, denen der Zugang zu Schule und Bildung verwehrt bleibt. Aber auch in unserer Gesellschaft gibt es Analphabeten. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Ein Analphabet kann entweder überhaupt nicht schreiben und lesen, oder nur so schlecht, dass er im Alltag große Probleme hat. Man unterscheidet dabei verschiedene Typen von Analphabeten. Es gibt zum Beispiel Menschen, die ihren eigenen Namen schreiben können und auch einzelne Buchstaben kennen, allerdings können sie nicht lesen und schreiben. Dann gibt es wiederum Menschen, die zwar lesen, aber nur ganz schlecht schreiben können. Und wieder andere Analphabeten können nur ganz schlecht lesen, schreiben können sie überhaupt nicht. Man nennt sie auch "funktionale Analphabeten". Schließlich gibt es noch diejenigen, die weder lesen noch schreiben können, die so genannten "Total-Analphabeten". Auch in Deutschland gibt es viele Analphabeten. Manche von ihnen gehen zwar einem Job nach, haben dort aber große Schwierigkeiten. Auch im Alltag haben sie viele Probleme und sind ständig auf die Hilfe anderer Personen angewiesen.

Stell' dir einmal vor, du könntest nicht richtig lesen oder schreiben. Dann wird es schon schwierig, ein Bahnticket am Automaten zu ziehen oder beim Einkaufen zu wissen, um welchen Artikel es sich eigentlich handelt und wie viel er kostet. Es wäre nicht möglich, Freunden und Bekannten eine Nachricht, einen Brief oder eine schnelle SMS zu schreiben. Für uns selbstverständliche Kleinigkeiten des Alltags können für Analphabeten zu richtigen Hürden werden. Den meisten Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, ist dies sehr unangenehm und sie wollen ihre Schwäche nicht zugeben. Oft versuchen sie, ihr Problem zu vertuschen, da sie Angst haben, dass andere sie für dumm und zurückgeblieben halten und sie auslachen könnten.

Warum gibt es in unserer Gesellschaft Analphabeten?

Trotz Schulpflicht gibt es auch in unserer Gesellschaft Analphabeten. Oft handelt es sich um Schüler, die Probleme in der Familie haben, von Armut betroffen sind oder eine Lese- und Schreibschwäche haben und zu wenig Unterstützung erhalten.
Benjamin Thorn/ pixelio.de

Alleine in Deutschland gibt es ungefähr 7,5 Millionen Analphabeten. Dank unserer heutigen "Bilder-Welt" schaffen es viele der Betroffenen zwar, den Alltag zu bewältigen, doch sie haben es sehr schwer, fühlen sich oft unsicher und "minderwertig", sind deutlich eingeschränkt und müssen auf vieles verzichten, was uns ganz selbstverständlich erscheint. Außerdem haben sie keine guten Chancen, einen richtigen Job zu finden und Geld zu verdienen, denn die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, wird bei den meisten Tätigkeiten vorausgesetzt.

Viele Betroffene in unserer Gesellschaft finden andere Wege, wie sie beispielsweise an das Ticket kommen. Meistens erfinden sie Ausreden - sie bitten etwa andere um Hilfe und behaupten, dass sie ihre Lesebrille vergessen hätten. Wenn sie zwar einigermaßen lesen können, aber Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben, sagen sie zum Beispiel, dass sie sich an der Hand verletzt hätten. Das Leben wird dann für sie sehr anstrengend und oft auch erniedrigend, denn ständig versuchen sie, ihre Schwäche zu verbergen und leben in der Angst, dass sie "auffliegen".

In Deutschland besteht eine allgemeine Schulpflicht. Warum gibt es dann so viele Menschen, die dennoch nicht richtig lesen und schreiben können? Das bedeutet keinesfalls, dass diese Menschen zu "dumm" dafür sind. In vielen Fällen handelt es sich um Kinder, die von Armut betroffen sind und zu Hause kaum Unterstützung beim Lernen erhalten. Besonders Kinder aus ausländischen Familien, in denen nicht Deutsch gesprochen wird, haben es schwer, überhaupt die Sprache richtig zu erlernen. Dann wird es umso schwieriger für sie, lesen und schreiben zu lernen.

Oft haben die betroffenen Kinder auch große Probleme, die sie beschäftigen. Wenn ein Kind zum Beispiel in einer Familie aufwächst, in der Gewalt vorherrscht und es zu Alkoholmissbrauch oder sexuellem Missbrauch kommt, kann es passieren, dass es sich in der Schule überhaupt nicht mehr konzentrieren kann. Es gibt auch Kinder, die einfach eine Lese- und Schreibschwäche haben und etwas mehr Zeit benötigen, um die Fähigkeit zu erlernen. Manchmal wird das von Lehrern nicht erkannt oder in der Schule wird aufgrund des Lehrplans nicht genügend Rücksicht darauf genommen. Viele der betroffenen Kinder machen dann keinen Abschluss. Manche "mogeln" sich auch durch die Schulzeit und erhalten einen (oft schlechten) Abschluss. Später lesen und schreiben sie dann überhaupt nicht mehr und verlernen die Fähigkeit schließlich immer mehr.

Problem Analphabetismus in armen Ländern

Die meisten Analphabeten leben in den so den genannten "Entwicklungsländern" in Asien, Afrika und Südamerika. Viele Kinder dort haben überhaupt nicht die Möglichkeit, Schulen zu besuchen, da ihre Familien arm sind und sie arbeiten müssen.
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Die meisten Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben, kommen aus den so genannten "Entwicklungsländern" in Asien, Afrika und Südamerika. In vielen dieser von großer Armut betroffenen Länder besteht keine Schulpflicht. Das bedeutet, dass die Kinder nicht unbedingt zur Schule gehen müssen - genauer gesagt haben sie in vielen Fällen überhaupt nicht die Möglichkeit dazu. Oftmals sind es Mädchen und Frauen, die besonders stark benachteiligt sind, da sie in der Gesellschaft untergeordnet sind und es nicht als ihre Aufgabe angesehen wird, sich zu bilden und einen Beruf zu erlernen. Besonders in ländlichen Regionen bekommen die Frauen früh Kinder und müssen sich dann um den Haushalt kümmern. Fast zwei Drittel der Analphabeten sind Frauen. Eine Gleichberechtigung der Frau ist in vielen Kulturen längst nicht vorhanden.

Hinzu kommt, dass in diesen armen Ländern nur wenige Schulen gebaut werden können, da das Geld für andere Zwecke benötigt wird und staatliche Mittel für Bildungseinrichtungen fehlen. Zahlreiche Kinder haben keine Chance auf einen Schulbesuch. Sie wohnen entweder zu weit weg von einer Schule oder diese ist bereits überfüllt und sehr schlecht ausgestattet. Selbst wenn eine Schule in der Nähe ist, können viele Kinder nicht regelmäßig oder überhaupt nicht zur Schule gehen, weil sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen müssen und diese einfach kein Geld haben, um ihren Kindern die Schulbildung zu ermöglichen. Kinderarbeit ist den armen "Entwicklungsländern" weit verbreitet: Unzählige Kinder müssen für einen Hungerlohn hart arbeiten, damit ihre Familie überleben kann. In afrikanischen Ländern geht zum Beispiel jedes dritte Kind nicht zur Schule. Das sind 45 Millionen Kinder, die keine Schulbildung erhalten. Somit gibt es dort auch nur wenige ausgebildete Lehrer, die die Kinder unterrichten können. Es ist also ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss.

Weltbildungstag: "Bildung für alle!"

Jährlich am 8. September wird der Weltbildungstag begangen, der von der UNESCO ins Leben gerufen wurde. Viele Organisationen und Einrichtungen kämpfen gegen den Analphabetismus und wollen erreichen, dass alle Menschen die Chance auf eine richtige Schulbildung erhalten.
Eigenes Archiv

Der Weltalphabetisierungstag soll uns daran erinnern, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, lesen und schreiben zu können, und dass eine richtige Schulbildung eine wichtige Voraussetzung für unser späteres Leben ist. Seit 1966 wird jedes Jahr am 8. September der Weltbildungstag begangen, der von der UNESCO ins Leben gerufen wurde. Die UNESCO ist eine Organisation der Vereinten Nationen, die sich weltweit für den Erhalt und die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur einsetzt.

Mit vielen Veranstaltungen soll gezeigt werden, wie bedeutend es ist, lesen und schreiben zu können. Wenn man nicht über die nötige Bildung verfügt, hat man nicht nur große Probleme im Alltag und Berufsleben und ist ständig abhängig von anderen Menschen, man kann auch kein neues Wissen erwerben, das in vielen Fällen Voraussetzung ist, um sich überhaupt eine eigene Meinung bilden zu können. Das wirkt sich negativ auf alle Bereiche unseres Lebens aus und kann auch für unsere Gesundheit schlimme Folgen haben, da man sich beispielsweise nicht genügend über verschiedene Krankheiten, Risiken und Vorsorge informieren kann.

An diesem Tag gibt es aber nicht nur Veranstaltungen rund ums Thema Lesen und Schreiben, sondern es werden auch drei Bildungspreise von der UNESCO verliehen. Der älteste Preis, der "UNESCO International Reading Association Literacy Prize" ("Alphabetisierungspreis der Internationalen Lesegesellschaft"), wird bereits seit 1979 vergeben. Diesen Preis erhalten jedes Jahr andere Personen, Gruppen oder auch Einrichtungen, die sich für die Bekämpfung des Analphabetismus einsetzen. 2007 erhielt ihn zum Beispiel ein Verwaltungszentrum für Bildung in China, das sich in einer ländlichen Bergregion dafür einsetzt, dass auch Frauen lesen und schreiben lernen.

Der zweite Preis, den es seit 1989 gibt, ist der "UNESCO King Sejong Literacy Prize" ("König Sejong Alphabetisierungspreis"). Dieser Preis wird an Einrichtungen vergeben, die sich in ihrem Land dafür einsetzen, dass das Erlernen und das Sprechen der eigenen Muttersprache gefördert werden. Der Preis wurde erstmals 1989 von Südkorea gestiftet und heute erhält der Preisträger 20.000 Dollar, um das jeweilige Projekt weiterführen zu können. Dieser Preis ging zum Beispiel schon an eine Organisation in Tansania, die das Projekt "Children's Book" (also Kinderbücher) ins Leben rief. Sie ließ Bücher in Kiswahili (das ist eine afrikanische Sprache) herstellen und an Lehrer, Autoren und Verleger verteilen, damit diese Sprache nicht in Vergessenheit gerät. 2010 ging dieser Preis auch an eine deutsche Einrichtung. Das FLY-Projekt fördert seit 2004 in Hamburg Schreib- und Lesefähigkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund, also von Menschen, die aus einer ausländischen Familie kommen oder aus anderen Ländern nach Deutschland gezogen sind.

Der dritte Preis ist der "UNESCO Konfuzius-Preis", der von China gefördert wird. Bei diesem Preis werden Programme ausgezeichnet, die sich vor allem Frauen und Jugendlichen widmen, die in ärmeren ländlichen Gebieten wohnen und nicht schreiben und lesen können. Es gibt also einige Organisationen und Einrichtungen, die gegen den Analphabetismus kämpfen. Sie alle haben ein gemeinsames Motto: "Bildung für alle!"

Ziele der Alphabetisierung

Selbst in unserer Gesellschaft gibt es auch zahlreiche Erwachsene, die nicht richtig lesen und schreiben können. Das Projekt "UN-Weltdekade der Alphabetisierung" setzt sich zum Ziel, die Zahl der Analphabeten unter den Erwachsenen deutlich zu verringern.
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Unter diesem Motto haben sich auch speziell 164 Länder verpflichtet, sechs Bildungsziele umzusetzen. Eines dieser Ziele lautet, dass mehr Menschen lesen und schreiben können. Auf dem Weltbildungsforum in Dakar im Jahr 2000 wurden diese sechs wichtigen Ziele besprochen und festgelegt. Unter der Leitung der UNESCO soll so allen Kindern, insbesondere Mädchen und Kindern, die unter schwierigen Verhältnissen aufwachsen, ermöglicht werden, kostenlose Bildung zu erhalten. Zudem sollen sie alle eine Grundschulausbildung erhalten und diese auch abschließen können. Ebenso die frühkindliche Bildung soll im Rahmen des Projekts verbessert und weiter ausgebaut werden.

Ein weiteres Ziel ist es, dass die Anzahl der Analphabeten unter den Erwachsenen deutlich abnimmt. Daher müssen auch für Erwachsene die nötigen Bildungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Dieses spezielle Projekt nennt man auch die "UN-Weltdekade der Alphabetisierung" (2003 bis 2012). In Deutschland wurde zum Beispiel gemeinsam mit dem Bundesverband Alphabetisierung e.V. und der UNESCO ein Bündnis für Alphabetisierung gegründet. Sie arbeitet an der Umsetzung der UN-Dekade, indem Aktionen geplant, Vorträge gehalten und andere dazu aufgefordert werden, im Kampf gegen den Analphabetismus aktiv zu werden. Ein weiteres Ziel der Länder ist es, dass auch Mädchen die gleichen Bildungschancen wie Jungen erhalten. Und schließlich soll auch die Ausbildung an sich wesentlich verbessert werden.

In Deutschland und anderen Industrieländern freuen sich viele Schüler schon auf die nächsten Ferien und sind glücklich über jeden Feiertag, an dem schulfrei ist. Das ist verständlich, denn die Schule macht nicht immer Spaß, es ist schön und wichtig, auch noch Freizeit und Zeit für Hobbys zu haben - und vom ständigen Lernen und Schulstress hat man manchmal wirklich die Nase voll! Dennoch sollten wir uns bewusst machen, dass es auch ein großes Glück ist, dass wir die Möglichkeit haben, uns zu bilden und uns ein vielfältiges Angebot an Schul- und Ausbildungseinrichtungen zur Verfügung steht.

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Co-Autorin: Britta Pawlak
letzte Aktualisierung: 10.09.2022

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