von Luisa - 12.05.2007
Ich schreibe diesmal über das erstaunliche Phänomen, das sich vor einigen Wochen ereignete: Ein neues Leben kam auf die Welt. Das an sich ist noch nichts Besonderes. Aber ich gebe euch einen weiteren Tipp: Das neue Leben heißt Knut. Ein Wort, ein Gedanke. Nun weiß mit Sicherheit jeder, um wen es sich handelt. Nicht nur in vielen Kindernachrichten wurde uns Knut immer wieder als wichtigste Tagesmeldung präsentiert, auch in den Erwachsenenmedien war es nicht viel anders! Aber wenn Knut einen Zahn bekommt, ist das ja nun einmal auch interessanter als irgendein Krieg, der sowieso nichts Neues mehr ist, denken viele. Und ich gebe zu: Er ist wirklich süß.
Knut wurde zum ultimativen Synonym für Eisbären. Aber nicht für irgendeinen Eisbären. Sondern für ein flauschig weiches Fellknäuel mit großen unschuldigen Augen und einem weißen Fell, das aussieht, als sei es mit Weichspüler gewaschen worden. Ein herzzerreißender Anblick - noch. Denn es besteht keine Frage, kleine niedliche Bären mögen wir. Wenn sie dann aber größer werden, sind sie uns irgendwie suspekt, und wir wollen sie lieber aus sicherer Entfernung, vor dem Fernseher oder einer dicken Plexiglasscheibe, betrachten.
Das beste Beispiel war Bruno. Wir erinnern uns. Er war nicht weiß, sondern braun. Er war jung, aber eben kein kleines, süßes Babybärchen mehr. Doch wie Knut war er ein "Wunschkind" - zumindest am Anfang. Der erste freilebende Bär seit 100 Jahren, der nach Deutschland kommt - was für ein Ereignis! Alle waren beeindruckt, in den Medien ging es wochenlang nur noch um diesen berühmten Bären, wie bei Knut.
Als sich allerdings herrausstellte, dass Bruno keine Milch aus der Nuckelflasche mehr wollte und auch nicht wie Winnie Pooh auf Honig stand, wurde er zu einem Problem. Also wurde Bruno für "psychisch gestört" erklärt - denn er fraß, was für ein Vergehen (für einen Bären!), Fleisch. Die besorgten Politiker berieten sich, denn es musste schnell etwas geschehen. Da Bruno aber nicht Vegetarier werden wollte, eben der nette Kuschelbär, den sich Deutschland gewünscht hatte, musste er die Konsequenzen spüren. Man erschoss ihn, von hinten wohl gemerkt. Brunos Tod löste eine Welle der Empörung aus, und hätte der Todesschütze seinen Namen bekannt gegeben, würde er wohl heute mit Bruno in den ewigen Jagdgründen Fangen spielen. Doch man gab ihn nicht bekannt und der Mann, oder die Frau, erfreut sich wahrscheinlich noch bester Gesundheit. Und um ehrlich zu sein wäre dies ja auch ziemlich unfair gewesen. Er war schließlich nicht der erste Mensch, der ein Tier tötete.
In einer großen Fabrik werden täglich bis zu 15.000 Schweine getötet, die vorher ein qualvolles Leben verbringen mussten. Das heißt, pro Minute werden etwa 20 Schweine geschlachtet. Diese essen wir dann als Steak oder lassen sie fröhlich auf unserem Grill brutzeln. Stellen wir uns vor, was passieren würde, käme jemand auf die Idee, Knut zu Fleisch zu verarbeiten! Nun sind Schweine aber nicht weiß oder flauschig, und besonders selten sind sie auch nicht. Aber sie sind Tiere. Abgesehen davon - wer findet ein kleines rosa Ferkelchen nicht auch süß? Denken wir nur einmal an "ein Schweinchen namens Babe".
Und was ist mit all den niedlichen, flauschigen Küken, die täglich zu tausenden getötet werden, weil sie männlich sind und keine Eier legen? Oder die süßen kleinen Kälbchen, die für unser zartes Filet geschlachtet werden, oder für die Verarbeitung von Käse. Aber ob sie nun ausgewachsen sind oder Babys, ob sie süß und drollig sind oder eben nicht mehr, sie sind Tiere, die fühlen, wie wir. Wie Knut, der putzige Eisbär. Tiere, die genauso wie wir Angst empfinden können. Und denken wir nur einmal, wie empört alle reagierten, als angeblich jemand wagte, eine Morddrohung gegen Knut auszusprechen. Was für ein Unmensch könnte so etwas nur tun!
Wenn ich mir vorstelle, dass ich in einem düsteren Raum stehe, der vielleicht noch an den Wänden mit Blut bespritzt ist, vor mir steht ein komisches Wesen, das etwa dreimal so groß ist wie ich, ich glaube ich hätte verdammt große Angst. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, ob ich weiß, dass das komische Rohr vor mir mich gleich umbringen wird oder nicht. Und wer weiß, was dieses Schlachttier schon alles für Qualen durchleiden musste, bevor es in den Schlachtbetrieb gelangte.
Nun kann man argumentieren, dass wir Allesfresser sind. Wir wurden ursprünglich nicht dazu bestimmt, uns von Gras zu ernähren, wie ein Pferd oder ein Kaninchen. Doch dann stellt sich die Frage, wie wir es verantworten können, dass das eine Tier aus einem Goldnäpfchen sein Essen frisst und ein anderes in Massentierhaltung dahin vegetiert, in Massenproduktion abgeschlachtet wird und wir schließlich genüsslich auf ihm herumkauen und uns freuen, dass das Fleisch so schön billig war. Und dann empören wir uns über die Unmenschen, die es fertig bringen könnten, dem lieben kleinen Knut etwas anzutun?
Damit verabschiede ich mich wieder von euch, während Knut auf seine erste Audienz beim Papst wartet, Bruno im Himmel auf Rache schwört und irgendwo auf der Welt genau in dieser Sekunde ein Tier getötet wird, damit wir es morgen als Mittagessen verspeisen können. Aber freuen wir uns doch einfach darüber, dass das Ganze doch noch zu einem Happy-End führte: Zuerst waren wir traurig darüber, dass der erste deutsche Bär ein gefährlicher Problembär war und wir diese Bestie leider abknallen mussten. Nun haben wir aber doch noch unseren Kuschelbären zum Liebhaben, den wir uns so sehnlich gewünscht haben! Schade ist nur, dass auch das noch so süßeste Baby irgendwann einmal ausgewachsen sein wird...
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