von Antje Leser
Mark Twain kam am 30. November 1835 zeitgleich mit dem Halleyschen Kometen auf die Welt. Und wie ein Komet schlug der Autor von "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" in die amerikanische Literatur ein. Schon früh war klar: Mark Twain war ein ungewöhnlicher Mensch, der mit scharfer Zunge und beißender Ironie die US-amerikanische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts gnadenlos aufs Korn nahm. Er kämpfte später gegen Sklaverei und Rassismus und setzte sich für Menschlichkeit und Toleranz ein. Sein Leben lang strebte er nach Erfolg und Anerkennung und riskierte für abenteuerliche Erfindungen das Vermögen seiner Familie. Privat liebte er Katzen, rauchte wie ein Schlot und trug unter seinem weißen Anzug rote Socken.
Mark Twain, wie sich der Schriftsteller später nannte, kam eigentlich mit dem Namen Samuel Langhorne Clemens als sechstes von sieben Kindern in Missouri zur Welt. In dem damaligen "Sklavenhalterstaat" im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten war die Unterwerfung und Ausbeutung der schwarzen Bevölkerung immer noch vorherrschend. Auch die Familie Mark Twains hielt Sklaven - erst später als erwachsener Schriftsteller stellte er dies infrage und kritisierte die Sklaverei schließlich scharf. Seine Eltern, Jane Lampton Clemens und John Marshall Clemens, hatten anfangs wenig Hoffnung, dass der Junge überleben würde, denn als Frühgeburt war er klein und ziemlich schwächlich.
Als Sam vier Jahre alt war, zog seine Familie nach Hannibal, einer Kleinstadt am Mississippi. Sam war ein richtiger Lausejunge, strolchte am Ufer entlang, fuhr Kanu, rauchte Maiskolben und gab nichts auf die Schule. Er verhielt sich genauso wie später seine beiden Helden Tom Sawyer und Huckleberry Finn, deren Geschichte eng mit seiner eigenen verstrickt ist. Sam liebte die Besuche auf der Farm seines Onkels. Dort trieb er sich in den Quartieren der versklavten Menschen herum und lauschte mit Begeisterung ihren Schauergeschichten und Legenden, die oft von Naturreligionen und Aberglauben geprägt waren. Später griff er den charakteristischen Dialekt der schwarzen Bevölkerung auf und setzte ihn gezielt in seinen Dialogen ein.
Da Sams Eltern immer mehr in Geldnöte gerieten, betreuten sie ab 1846 das Haus eines Apothekers, der sie dafür kostenlos bei sich wohnen ließ. Ihre Sklavin Jenny musste die Familie verkaufen. Mit elf Jahren starb Sams Vater und er musste die Schule verlassen, um seine Familie zu ernähren. Er begann eine Ausbildung zum Schriftsetzer bei einer Zeitung. Seine Aufgabe war es, die Bleibuchstaben herauszusuchen und so zu setzen, dass daraus ein Zeitungsartikel entstand. Dadurch war er immer auf dem Laufenden, was Neuigkeiten aus aller Welt betraf. Ab 1851 durfte er kurze Artikel im Hannibal Journal veröffentlichen, einer regionalen Zeitung, die Sams Bruder Orion herausgab.
Sams Wanderjahre
Mit 18 Jahren verließ Sam seine Heimat und schlug sich als wandernder Schriftsetzer und Journalist durch. Er arbeitete für verschiedene Zeitungen in New York und Philadelphia und verfasste Reiseberichte für die Zeitung seines Bruders. Um sich weiterzubilden, verbrachte der Schulabbrecher viele Abende in den New Yorker Bibliotheken. 1857 begann seine Karriere als Steuermann auf einem Mississippidampfer, die ihn auf die Idee brachte, den Künstlernamen anzunehmen, unter dem wir alle ihn kennen. Ursprünglich stammt "Mark Twain" nämlich aus der Lotsensprache und bedeutet zwei Faden Wassertiefe (Twain = zwei! - das sind umgerechnet ungefähr 3,70 Meter), also ausreichend Wasser unter dem Kiel. Um nicht auf Grund zu laufen, war es unheimlich wichtig, dass man regelmäßig die Wassertiefe bestimmte.
Mit dem Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1861 kam der Bootsverkehr auf dem Mississippi zum Erliegen und Sam verlor seine Stelle. Mit seinem Bruder Orion schloss er sich den Goldgräbern in Nevada an und begann, in einer Silbermine zu arbeiten. Leider hatte er kein Glück, so dass er 1862 als Reporter für den Territorial Enterprise in Virginia City über Klatsch und Tratsch in den Goldgräberstädten berichtete. Von nun an verwendete er sein Pseudonym "Mark Twain" (als Pseudonym bezeichnet man einen erfundenen Namen, hinter dem ein Künstler sich verbirgt). 1864 zog es ihn schließlich nach San Francisco, wo er weiterhin für die örtliche Presse schrieb.
Erste Erfolge als Autor
Mark Twains erste Geschichten erschienen 1864/ 65 in Charles Henry Webbs Wochenzeitschrift "The Californian". 1865 gelang ihm ein erster Durchbruch mit der Kurzgeschichte "Jim Smiley and His Jumping Frog" ("Der berühmte Springfrosch von Calaveras"). Kurz darauf erhielt er ein Angebot, zu den Sandwichinseln (Hawaii) zu reisen und eine Reportage zu schreiben.
Bei seiner Rückkehr war er bereits so berühmt, dass er eine erste Lesereise machte, bei der er sich als talentierter Schauspieler und Redner entpuppte. Zwischen 1867 und 1878 unternahm er mehrmonatige Schiffsreisen nach Europa und den Nahen Osten. Seine Erlebnisse verarbeitete er in den Reisebüchern "Die Arglosen im Ausland" (1869) und "Bummel durch Europa" (1880). Die deutsche Sprache fand er übrigens besonders kompliziert. In seinem Aufsatz "Die schreckliche deutsche Sprache" machte er sich über das Deutsche lustig, was ihn später jedoch nicht davon abhielt, auf Deutsch zu fluchen, damit ihn keiner verstand.
Auf seinen Reisen lernte Sam übrigens Charles Langdon, seinen späteren Schwager, kennen. Dieser zeigte ihm ein Bild von seiner Schwester Olivia, genannt Livy, in die sich der Schriftsteller sogleich unsterblich verliebte. Die schöne Olivia ließ sich zwei Jahre von Sam umwerben, bis sie ihm 1870 schließlich das Ja-Wort gab. 1871 verließ die junge Familie Buffalo, wo Mark Twain als Herausgeber und Autor für die Tageszeitung "Buffalo Express" gearbeitet hatte. Mit ihrem kleinen Sohn Langdon Clemens zogen die beiden schließlich nach Hartford in Connecticut. Doch leider starb Langdon kurz darauf an Diphtherie, einer sehr gefährlichen Infektionskrankheit, die bei kleinen Kindern damals oft zum Tod führte.
Die Jahre in Hartford
Mark Twain verbrachte seine kreativsten und erfolgreichsten Jahre in Hartford an der Ostküste der USA. Mit Livy und seinen drei Töchtern Susy (geboren 1872), Clara (geboren 1874) und Jean (geboren 1880) lebte er nun in einem riesigen, sehr modernen Haus in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Dichterkollegin Harriet Beecher Stowe. Sie hatte 1852 den Roman "Onkel Toms Hütte" geschrieben, eine Geschichte über die Sklaverei in den US-amerikanischen Südstaaten, die Mark Twain sehr beeindruckt hatte. Sein ganzes Leben lang sollte er sich mit den Themen Sklaverei und Rassismus beschäftigen. Dabei nahm er auch in öffentlichen Diskussionen kein Blatt vor den Mund, wenn er die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit kritisierte.
Bei seiner Arbeit als Autor war ihm seine Frau Livy übrigens eine große Hilfe, denn sie korrigierte und überarbeitete seine Texte. Abends las sie ihren Kindern Papas neueste Geschichten vor. Manchmal gab es Proteste, da Livy Textpassagen herausstrich, die ihr nicht schicklich erschienen, die aber den Mädchen besonders gut gefielen. Mark Twain behauptete sogar scherzhaft, dass er manchmal absichtlich Sätze einflocht, um seine Frau zu testen. In seinem Schreibzimmer unter dem Dach entstanden neben "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" Werke wie "Durch Dick und Dünn" (1872) oder "Der Prinz und der Bettelknabe" (1881). Für "Leben auf dem Mississippi" (1883) kaufte Mark Twain sogar eine Schreibmaschine und lieferte seinem Verlag als einer der ersten Autoren überhaupt ein maschinengeschriebenes Manuskript ab.
1884 gründete er seinen eigenen Verlag mit dem Namen "The Charles L. Webster Company", dessen erste Veröffentlichung "Huckleberry Finn" war. Kurz darauf erschien eine zweibändige Biografie über den Bürgerkriegshelden Ulysses S. Grant, dessen Geschichte Mark Twain sehr viel Geld und Ansehen brachte. 1889 gab er die Science-Fiction-Satire "Ein Yankee am Hofe des König Artus" heraus, in der der Amerikaner Hank Morgan unfreiwillig eine Zeitreise ins 6. Jahrhundert unternimmt und die Tafelrunde um König Artus tüchtig aufmischt. Dabei rechnet Mark Twain mit den Themen Aberglaube, Rassismus und Religion ab und macht deutlich, dass die Zeit des Rittertums nicht nur romantisch war.
Heidelbeeren als Geistesblitz
Die Geschichte von "Huckleberry Finn" gilt als Mark Twains Meisterwerk. Huckleberries sind übrigens Heidelbeeren. Sie waren es, die den Autor auf die Idee brachten, eine Fortsetzung zu "Tom Sawyer" zu schreiben, diesmal aus der Sicht des Halbwaisen Huck Finn. Nachdem der Junge gemeinsam mit seinem Freund Tom durch den Fund eines Schatzes berühmt wird, taucht plötzlich sein brutaler und alkoholsüchtiger Vater auf. Um an das Geld seines Sohnes heranzukommen, setzt er Huck unter Druck. Gemeinsam mit dem Sklaven Jim flüchtet der Junge auf einem Floß den Mississippi hinunter und erlebt dabei einige haarsträubende Abenteuer. Am Ende trifft er wieder mit Tom Sawyer zusammen und alles wird gut.
Das Buch wurde übrigens gleich nach seinem Erscheinen in den amerikanischen Schulen verboten, da der Held angeblich ein schlechtes Vorbild für Kinder und Jugendliche sei. Doch genau das ist es, was das Buch noch heute so lesenswert macht, denn mit Huck Finn schafft Mark Twain einen Helden, der genau wie er das Herz am richtigen Fleck hat, nichts auf die angepasste Meinung anderer gibt und am liebsten nur das tut, was ihm gerade in den Sinn kommt. Darüber hinaus wird die Haltung des Autors gegenüber Rassismus und Sklaverei besonders deutlich: Ein Halbwaise und ein schwarzer Sklave sind auf der Suche nach einem besseren, menschenwürdigen Leben. Was man der deutschen Übersetzung übrigens nicht anmerkt: Mark Twain hat einige der Dialekte verarbeitet, die die Menschen damals am Ufer des Mississippi sprachen. Ernest Hemingway, ebenfalls ein berühmter Schriftsteller, sagte einmal: "Die gesamte amerikanische Literatur stammt von einem Buch von Mark Twain, genannt 'Huckleberry Finn', ab. Vorher gab es nichts. Seitdem gab es nichts, was dem gleichkommt."
Begeisterung für Technik und Erfindungen
Mark Twain war fasziniert vom technischen Fortschritt seiner Zeit und steckte eine Menge Geld in Erfindungen. Er war eng mit dem Physiker und Elektroingenieur Nikola Tesla befreundet, der den Autor mit in sein Labor nahm, um ihm seine neuesten Erfindungen zu präsentieren. Auch er selbst ließ sich drei seiner Erfindungen patentieren (ein Patent ist ein rechtlicher Schutz des Erfinders oder Inhabers, der sicherstellt, dass eine Erfindung nicht unerlaubt von anderen verwendet werden darf): einen elastischen Träger für Strümpfe, ein Sammelalbum mit selbstklebenden Seiten und ein Brettspiel, bei dem man historischen Ereignissen die richtigen Jahreszahlen zuordnen musste.
Jahrelang steckte er sein Vermögen in die Entwicklung einer komplizierten Setzmaschine. Leider kam sie niemals auf den Markt, sondern bereits vor ihrem Start war das Geld für die Erfindung ausgegangen und Mark Twain finanziell ruiniert. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Haus in Hartford zu verkaufen und seine Schulden durch Lesereisen abzuzahlen. Neun Jahre bereiste er ab 1891 mit seiner Familie die Welt. Er besuchte Australien, Neuseeland, Sri Lanka, Indien und Südafrika und traf während seiner Lesungen eine Menge wichtiger Leute. Außerdem arbeitete er weiterhin als politischer Journalist und verfasste kritische Artikel über die Gier der Menschen nach Macht und Geld.
Schicksalsschläge und letzte Jahre
Außer seinem kleinen Sohn Langdon verlor Mark Twain auch zwei seiner Töchter und seine Frau Livy. Susy Clemens starb 1896 im Alter von 24 Jahren an einer Hirnhautentzündung während eines Besuchs in Hartford. 1900 kehrte die Familie in die USA zurück. Die Schulden waren getilgt, doch Susys Tod lastete schwer auf dem Autor und seiner Frau. Sie kehrten nicht mehr in das schöne Haus in Hartford zurück. Zu allem Unglück stellte sich heraus, dass Olivia ebenfalls krank war. Sie starb 1904 aufgrund von Herzproblemen. Wenige Jahre später verlor Mark Twain auch noch seine Tochter Jean. Sie litt an Epilepsie, einer Krankheit, bei der der Patient immer wieder Krampfanfälle erleidet. Einer dieser Anfälle führte an Weihnachten 1909 zu Jeans Tod. Nur Clara überlebte ihren Vater.
Mark Twain selbst starb am 21. April 1910 im Alter von 74 Jahren in seinem Haus "Stromfield" in Redding/ Connecticut als erfolgreicher, aber einsamer Autor. Wie er es vorausgesehen hatte, starb er exakt einen Tag nachdem der Halleysche Komet erneut an der Erde vorbeikam. Kurz vor seinem Tod soll er gesagt haben: "Ich kam im Jahre 1835 zur Welt, zur gleichen Zeit wie Halleys Komet. Im nächsten Jahr wird dieser zur Erde zurückkehren. Ich rechne damit, mit ihm gemeinsam auch wieder verschwinden zu dürfen. Sollte das unterbleiben, so wäre dies die größte Enttäuschung meines Lebens. Vermutlich hat sich der Allmächtige gedacht: 'Diese beiden komischen Käuze! Sind sie zusammen gekommen, so sollen sie auch zusammen wieder verschwinden.'"
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