"Zigeuner" oder "Sinti und Roma"?

von Sebastian Schwalbach

Die Bezeichnung "Zigeuner" ist vermutlich aus dem altgriechischen Wort "atsínganoi" entstanden. Übersetzt heißt dies "Unberührbare". Dadurch wird klar, weshalb die Bezeichnung von vielen als herabsetzend angesehen wird. Heute verwendet man in Deutschland meist den Begriff "Sinti und Roma". Lange Zeit wurden die Völkergruppen verfolgt - ein trauriger Höhepunkt war die Zeit des Nationalsozialismus'. Auch heute noch erfahren sie Diskriminierungen. Was sind die Wurzeln der Sinti und Roma? Warum waren sie lange Zeit ein umherziehendes Volk - und wie wurden sie zu "Sesshaften"?

Weltweit leben ungefähr zwölf Millionen Sinti und Roma. Die Menschen haben eine gemeinsame Sprache: Romanes. (Bild: "Junge Zigeunerinnen" von Adolphe Bouguereau, 1879) (Quelle: Wikipedia )

Weltweit leben ungefähr zwölf Millionen Sinti und Roma, die Mehrheit von ihnen in Europa. "Sinti" geht zurück auf die indische Provinz "Sindh", diese wird als Ursprungsregion der Sinti betrachtet. "Rom", die Einzahl von "Roma", bedeutet "Mensch" und wird nicht als diskriminierend angesehen. Obwohl die Menschen in unterschiedlichen Ländern leben, hat die Gruppe der Sinti und Roma eine gemeinsame Sprache: Romanes. Anhand der Sprache konnten Wissenschaftler Ursprung und Wanderung der Sinti und Roma feststellen. Als Ursprungsland gilt Indien.

Romanes, welches mit der indischen Sprache Sanskrit verwandt ist, enthält heute viele "Lehnwörter" aus verschiedenen Ländern. Lehnwörter sind Wörter, die einer anderen Sprache entlehnt und in die eigene Sprache übernommen werden. So geben Lehnwörter aus der persischen oder der armenischen Sprache Auskunft darüber, dass sich die Sinti und Roma bei ihrer Wanderung nach Europa längere Zeit in diesen Ländern aufgehalten haben müssen.

Es gibt mehrere Gründe, die man für die Wanderung der Sinti und Roma verantwortlich machen könnte. Vielleicht flohen sie vor anderen Gruppen, die in das Gebiet eingewandert waren, vielleicht herrschte in der Region durch Missernte eine Hungersnot und sie mussten auswandern. Eine weitere Theorie besagt, dass sie wegen ihrer Religion verfolgt wurden und in ein Gebiet zogen, in dem sie ihren Glauben ausüben konnten. Die Wanderung führte schließlich von Asien über die Gebiete der heutigen Türkei bis nach Europa. Man weiß, dass die Sinti und Roma vor 600 Jahren nach Deutschland kamen, so tauchte 1407 in Hildesheim ein Dokument auf, in dem sie schriftlich erwähnt wurden.

Verbot der Handwerksberufe und erste Vertreibungen

Die Lebensweise so genannter "Zigeuner" war der Obrigkeit früher ein Dorn im Auge. (Quelle: Zentralrat deutscher Sinti und Roma)

Zunächst standen die Sinti und Roma zu dieser Zeit unter dem Schutz der deutschen Könige und Landesfürsten, die ihnen so genannte "Schutzbriefe" ausstellten. Doch bereits Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Gruppe der Sinti und Roma auch in Deutschland unterdrückt und verfolgt. Es wurde ihnen zunächst verboten, ihre Handwerksberufe auszuüben. Anschließend wurden sie aus zahlreichen Gebieten vertrieben.

Gründe für diese Maßnahmen waren zum einen Vorurteile. Die Roma sahen anders aus und hatten eine unterschiedliche Lebensweise als die Menschen in Deutschland. So hatten sie eigene Lieder, feierten eigene Feste und wirkten damit fremd für große Teile der restlichen Bevölkerung. Zum anderen war die Verfolgung religiös begründet. Die "Zigeuner" wurden abfällig als Heiden oder Verbündete des Teufels bezeichnet. Die Verfolgungen gingen größtenteils von den jeweiligen Regierungen aus. Für die Missstände im Land suchte man einen Sündenbock - und so wurden die Sinti und Roma dafür verantwortlich gemacht.

Das "fahrende Volk" sollte sesshaft gemacht werden

(Einst) fahrende Völker wie die Roma haben Musikrichtungen und Tänze in ganz Europa stark beeinflusst. (Quelle: Wikipedia)

Früher zogen viele Sinti und Roma mit ihren Wagen umher - zum einen, weil sie immer wieder aus den Städten, in denen sie lebten, vertrieben wurden. Außerdem waren viele Sinti und Roma traditionelle Musiker oder übten Handwerksberufe wie Hufschmied, Besenbinder oder Kesselflicker aus. Diese Berufe konnte man nicht lange an einem festen Ort ausüben. Sie mussten also dorthin reisen, wo Bedarf an ihren Tätigkeiten bestand.

Das Umherziehen war den Herrschern jedoch ein Dorn im Auge. Sie wollten jederzeit wissen, wo sich die Bevölkerung aufhielt, um sie besser kontrollieren zu können. Deshalb gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts Versuche, das so genannte "Fahrende Volk" sesshaft zu machen. Ebenfalls in dieser Zeit entstand auch der Mythos von den "Zigeunern", die Kinder stehlen würden. Doch waren es nicht fremde Kinder, die die Sinti und Roma versuchten zurückzuholen, sondern ihre eigenen. Der Staat hatte begonnen, den Sinti und Roma ihre Kinder wegzunehmen, damit diese sich nicht an das "Zigeunerleben" gewöhnen.

Schlimme Verfolgungen während des Nationalsozialismus

Zwischen 200.000 und 800.000 "Zigeuner" wurden von den Nazis ermordet. (Quelle: Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte)

In der Zeit des Nationalsozialismus erreichte die Diskriminierung der Sinti und Roma ihren Höhepunkt. 1938 wurde in Berlin das "Reichskriminalamt zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" gegründet. Diese Organisation erfasste alle "Zigeuner", schrittweise begann der Staat, ihnen alle Rechte zu nehmen. Daraufhin wurde während des Nationalsozialismus' eine so genannte "rassenhygienische Forschungsstelle" gegründet. Diese erstellte Stammbäume und unterschied in "reinrassige Zigeuner" und "Zigeunermischlinge".

Alle Sinti und Roma, die nicht in das Bild des "reinen Deutschen" passten, wurden in Konzentrationslager gebracht. In den Gaskammern der KZ's starben über eine halbe Million Sinti und Roma, in den osteuropäischen Ländern fielen weitere Hunderttausende den Erschießungskommandos der deutschen Besatzer zum Opfer. Die genaue Zahl der Ermordeten ist bis heute nicht bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigte der Bundesgerichtshof zunächst in einem Urteil, dass es sich bei den Verfolgungen der Sinti und Roma während des Dritten Reiches nicht um eine Verfolgung aus rassistischen Gründen, sondern um eine "kriminal-präventive Maßnahme" handeln würde ("präventiv" bedeutet "vorbeugend").

So sollte den Sinti und Roma zu allem Unrecht während des Zweiten Weltkriegs auch noch die Chance auf eine Wiedergutmachungszahlung genommen werden, denn diese wurde nur dann gewährt, wenn eine Verfolgung aus "rassistischen Gründen" vorlag. Heftige Proteste, nicht nur von Romaverbänden, waren die Folge. Doch es dauerte bis zum Jahr 1982, bis die Bundesregierung die Verfolgung nachträglich als "rassistisch motiviert" einstufte und den Sinti und Roma wenigstens eine Entschädigung zugestand.

Hoffnung durch "Dekade der Roma-Integration" in Osteuropa

Acht Länder Mittel- und Osteuropas haben unter Mithilfe der EU ab 2005 die "Dekade der Roma-Integration" ausgerufen. Ziel ist, die Diskriminierung zu beenden und die Eingliederung zu fördern. (Quelle: Pixelio (Fotograf: Adel) )

Sinti und Roma leben in den verschiedensten Ländern der Welt, die meisten jedoch in Mittel- und Osteuropa. Eine Vielzahl von ihnen sieht sich bis heute Vorurteilen der restlichen Bevölkerung ausgesetzt und fühlt sich nicht als Teil der Gemeinschaft. Vor allem in Osteuropa gibt es noch immer so genannte "Zigeunersiedlungen" am Rande von Dörfern, in denen die Menschen ohne fließendes Wasser und Strom leben müssen. Es muss also etwas getan werden. Verschiedene Hilfsorganisationen setzen sich für eine Verbesserung der Situation ein.

Eine neue Initiative sorgt für Aufsehen: So haben acht Länder Mittel- und Osteuropas unter Mithilfe der Europäischen Union reagiert und von 2005 bis 2015 die "Dekade der Roma-Integration" ("Dekade" stammt aus dem Altgriechischen und steht für ein Jahrzehnt) ausgerufen. Ziel dieser Kampagne ist, die Diskriminierung zu beenden und die Unterschiede zwischen Roma und anderen Mitgliedern der Gesellschaft aufzuheben. Die Länder verpflichten sich, die Eingliederung in Schulen zu fördern sowie die Gesundheitssituation der Roma zu verbessern.

Doch gerade an der Schulsituation hat sich in Osteuropa bisher nicht viel verändert. So werden zum Beispiel immer noch häufig Romakinder auf Sonderschulen geschickt, weil sie die Landessprache nicht so gut können, statt dass der Staat ihnen Sondersprachkurse anbietet, um eine Integration zu ermöglichen. Spricht man mit Roma in Osteuropa, so zeigen sich viele enttäuscht, die "Dekade der Roma-Integration" habe noch nicht viel bewirkt. Immerhin bleiben der Dekade noch acht Jahre, um die Situation der Sinti und Roma endlich entscheidend zu verbessern.

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letzte Aktualisierung: 22.12.2010

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