Scharfe Kritik am deutschen Schulsystem

"Deutsche Schulen vermindern Chancengleichheit der Kinder"

22.03.2007

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (UN) Vernor Muñoz hat gestern vor dem UN-Menschenrechtsrat seine scharfe Kritik am deutschen Schulsystem bekräftigt. Nach seiner Auffassung werden dabei vor allem arme, ausländische und behinderte Kinder benachteiligt. Außerdem bemängelte Muñoz die deutschen Unterrichtsmethoden und den falschen Umgang mit Schülern. Sein Bericht hat in Deutschland unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Bildungsministerin Annette Schavan weist die Kritik entschieden zurück, während viele andere Politiker fordern, die Hinweise ernst zu nehmen.


Muñoz kritisiert vor allem die frühe Aufteilung der Kinder nach vier Jahren Grundschulzeit. (Quelle: Joachim Müllerchen)

Zehn Tage lang hatte Muñoz im vergangenen Jahr deutsche Schulen unter die Lupe genommen. Er sollte überprüfen, ob das deutsche Bildungssystem das Recht auf Bildung eines jeden Kindes tatsächlich gewährleistet. Viel Gutes hatte Muñoz über die deutschen Schulen nicht zu berichten. Das deutsche Schulsystem sortiere Schüler regelrecht aus, indem die Kinder sehr früh - bereits nach nur vier Jahren Grundschule - auf Haupt-, Realschulen und Gymnasien aufgeteilt werden.

Diese Aufgliederung mache Schülern Angst und löse bei ihnen Widerstand aus. Insgesamt sei das System "zu sehr auf Trennung und zu wenig auf Einschluss und Beteiligung der Schüler ausgelegt". In den Schulen herrsche eine Haltung gegenüber den Kindern vor, die ihre Fehler betone und nicht ihre Fähigkeiten. Er forderte Lehrer und Politiker, die in Deutschland für die Schulen zuständig sind, dazu auf, jedes Kind einzeln zu sehen und es optimal zu unterstützen.

"Frühe Auslese verringert die Chancen vieler Kinder"

Nach der Auffassung Muñoz' werden in Deutschland vor allem arme, ausländische und behinderte Kinder benachteiligt. (Quelle: Pixelquelle)

Muñoz empfiehlt Deutschland dringend, sich von den drei Schultypen, die eine so frühe Auslese von Schülern bedeuten, zu verabschieden. Er bekommt darin Rückendeckung vom deutschen ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Dieses Institut hat in einer Studie nachgewiesen, dass schon die Bundesländer im internationalen Vergleich viel besser abschneiden, in denen Schüler später und in abgemilderterer Form auf Haupt-, Realschulen und Gymnasien aufgeteilt werden.

Auch der "Aktionsrat Bildung", ein Zusammenschluss von Erziehungswissenschaftlern, befasst sich mit der Änderung des Schulsystems in Deutschland. Dieser empfiehlt, die Grundschulzeit auf sechs Jahre auszudehnen und die Hauptschulen abzuschaffen. Mehr Mitbestimmung von Schülern sei an den deutschen Schulen notwendig. Dies lasse sich nur erreichen, wenn die Schüler selbstständiger handeln dürften und ihre Fähigkeiten besser einbringen könnten.

Auch die Schulen selbst würden zu sehr von den Behörden eingeschränkt werden. Die Schulen sollten mehr Freiheiten haben, den Unterricht individuell zu gestalten. Auch die Ausbildung der Lehrer müsse besser werden. Sie sollten nicht nur den Stoff beherrschen, den sie in ihrem Unterricht vermitteln, sonder vor allem auch lernen, wie sie das Wissen am besten weitergeben und wie sie ihre Schüler am besten erreichen und motivieren.

"Einwanderer-Kinder werden abgeschottet"

Kritisiert wird immer wieder, dass Einwanderer-Kinder zu wenig Unterstützung erhalten. Viele der Schüler sprechen nicht gut Deutsch und besuchen deshalb nach der Grundschulzeit die Hauptschule. (Quelle: Photocase)

Es wurde zudem kritisiert, dass Kinder aus Einwanderer-Familien viel geringere Chancen auf eine gute Schulbildung hätten. Viele der Schüler besuchen nach der Grundschulzeit wegen mangelnder Sprachkenntnisse die Hauptschule. In dem UN-Bericht wird gefordert, dass Migranten-Kinder in den Schulen bessere Möglichkeiten haben sollten, die deutsche Sprache zu lernen. Dies sei die Grundvoraussetzung für eine gute Bildung und die Aussicht auf einen Beruf.

Muñoz sah auch das Recht auf Bildung all jener Kinder stark eingeschränkt, deren Eltern einen ungeklärten Aufenthaltsstatus in Deutschland haben. Ihre Kinder dürfen in Deutschland nämlich nicht zur Schule gehen. Damit verletze der Staat das Recht auf Bildung dieser Immigrantenkinder. Auch kritisierte er, dass die meisten behinderten Kinder eine Sonderschule besuchen und nicht in normale Schulen eingegliedert werden.

Deutschlands Bildungsministerin Annette Schavan weist die Kritik am deutschen Schulsystem entschieden zurück. "Deutschland hat ein erfolgreiches Bildungssystem", so die Ministerin. Auch Jürgen Zöllner, Präsident der Kultusministerkonferenz meint, es gäbe wichtigere Aufgaben, als das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Das Kultusministerium in Nordrhein-Westfalen hält den Bericht schlicht für "unbrauchbar". Muñoz habe das deutsche Bildungssystem nicht verstanden. Hingegen sind vor allem Politiker der Grünen der Meinung, die Auflistung der Mängel sei durchaus berechtigt. Man sollte die Hinweise ernst nehmen und an Verbesserungen arbeiten.

Was denkst du darüber? Findest du das deutsche Schulsystem gut, oder sollte es in einigen Bereichen verbessert werden? Was denkst du über die frühe Aufteilung der Kinder nach vier Grundschuljahren? Wie könnte man Einwanderer-Kinder besser integrieren? Sollte es mehr Gesamtschulen geben? Sollten Lehrer im Umgang mit Kindern und Jugendlichen besser geschult werden? Wie sind deine Erfahrungen? In unserem Forum kannst du mit anderen Lesern darüber diskutieren.

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letzte Aktualisierung: 26.01.2010

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