von Britta Pawlak - 21.12.2007
Bürger der Europäischen Union können nun ohne Passkontrolle die Grenzen zu den neuen EU-Ländern passieren. Darauf verständigten sich die Innenminister der Staaten in Brüssel. Dem so genannten "Schengen-Raum" treten ab sofort Tschechien, Ungarn, Polen, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Malta bei. Was genau ist das Schengener Abkommen? Welche Vorteile hat es, und was bedeutet es für Einwanderer und Flüchtlinge? Warum wird durch das Abkommen das Gefälle zwischen armen und reichen Ländern verstärkt?
Die Reisefreiheit zwischen den alten und neuen Staaten der Europäischen Union wurde von den Innenministern der derzeit 27 Mitgliedsländer beschlossen. Ab dem 21. Dezember können EU-Bürger ohne Grenzkontrollen in die neuen Staaten der Europäischen Union reisen - und umgekehrt. Zunächst fallen die Kontrollen für Autofahrer, Bahn- und Schiffsreisende weg - an den Flughäfen dagegen erst Anfang 2008.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach von einer "symbolischen Wirkung für die neuen EU-Staaten, die nicht mehr hinter dem Eisernen Vorhang leben". Der "Eiserne Vorhang" bezeichnet bildlich die Grenze zwischen dem Westen und den Ostblock-Staaten zu Zeiten des Kalten Krieges, der bis Anfang der 90-er Jahre andauerte.
Das Europäische Parlament begrüßt die zukünftigen Mitgliedsländer und bezeichnete die Schaffung des Schengen-Raums als "bedeutende Errungenschaft". Wichtig sei aber auch, dass die Anforderungen von den neuen Staaten erfüllt und die Sicherheitsstandards an den Landesgrenzen gewährleistet würden. Auf der Insel Zypern, die den Vertrag schon unterzeichnet hat, werden auf eigenen Wunsch erst später die Grenzkontrollen fallen. In der Schweiz wird dies voraussichtlich Ende 2008 geschehen. Inzwischen haben 30 Länder das Schengener Abkommen unterzeichnet.
Was ist das "Schengener Abkommen"?
Dank diesem Abkommen können Bürger der beteiligten Staaten viel problemloser in andere Länder - wie von Deutschland nach Frankreich oder umgekehrt - reisen. Früher gab es zum Beispiel in der Urlaubszeit lange Staus vor den Grenzen, weil die Beamten jeden Pass kontrollierten und wissen wollten, ob der Reisende etwas zu verzollen hat. Heute wird an den entsprechenden Grenzen nur noch stichprobenartig kontrolliert.
Im Jahr 1985 haben sich Politiker aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und der Niederlande in Schengen - einem Ort in Luxemburg - getroffen, um das "Schengener Abkommen" zu unterzeichnen. Darin wurde vereinbart, dass die Grenzkontrollen für Personen sowie Güter zwischen diesen Ländern nach und nach wegfallen sollten. Nicht nur das Reisen in die Nachbarländer würde damit erleichtert werden, auch dem freien Handel von Gütern zwischen den Mitgliedern sollte dies zugute kommen - und so würden die Staaten wirtschaftlich profitieren.
Nachdem die Parlamente der einzelnen Länder zugestimmt hatten, sollte die Regelung ursprünglich am 1. Januar 1991 in Kraft treten. Dazu kam es aber vorerst nicht. Es wurden noch weitere Einzelheiten verhandelt. Es ging zum Beispiel um die Frage, wie man mehr Sicherheit an den Grenzen garantieren könnte, damit Kriminelle nicht so einfach in ein anderes Land flüchten können - oder Menschenhandel sowie Drogenschmuggel eingedämmt werden. Im Jahr 1990 wurde schließlich "Schengen II" unterzeichnet, der Vertrag trat dann am 26. März 1995 in Kraft. Weitere Staaten beteiligten sich an dem Abkommen: Italien, Spanien, Portugal und Griechenland - und schließlich Österreich. Im Jahr 2001 fielen die Kontrollen in Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und Island weg.
Reisefreiheit in Europa - Abschottung nach außen
Als Sicherheitsmaßnahme werden die Außengrenzen der Europäischen Union besonders streng kontrolliert. Während also die Kontrollen zwischen den Mitgliedsländern fallen und man frei durch weite Teile Europas reisen kann, werden die Grenzen zu außenstehenden Staaten umso stärker abgesichert. Zudem arbeiten die polizeilichen Behörden der Schengen-Staaten eng zusammen.
Das "Schengen Informations-System" (SIS) - ein zentrales System - sorgt dafür, dass die Polizei im Land überprüfen kann, ob eine Person in einem anderen Mitgliedsstaat gesucht wird oder sich etwas zu Schulden kommen lassen hat. Darüber hinaus dürfen Polizisten Verbrecher innerhalb des Schengen-Raums auch über die Landesgrenzen hinaus verfolgen. Dies wäre normalerweise nicht so einfach möglich. Für mehr Sicherheit werden an den Grenzen der beteiligten Staaten immer wieder zufällig ausgewählte oder verdächtig erscheinende Personen angehalten und kontrolliert.
Nicht zwangsläufig muss ein Land der EU angehören, um dem Schengen-Raum beizutreten. Norwegen und Island gehören seit 1996 dazu, obwohl sie keine Mitglieder der Europäischen Union sind. Und auch die Schweiz hat den Vertrag bereits unterzeichnet. Die EU-Länder Großbritannien und Irland haben das Schengener Abkommen dagegen nicht unterschrieben. Es gelten allerdings Sonderregeln: Bei der Verfolgung von Straftätern arbeiten sie mit den Schengen-Staaten zusammen. Wer aus einem Mitgliedsstaat in die beiden Länder einreisen möchte, wird jedoch kontrolliert.
Kein Platz für Flüchtlinge?
Der Schengen-Raum bringt für einige große Vorteile, für andere aber auch entscheidende Probleme mit sich: Für Bürger der Staaten Osteuropas, die nicht dazu gehören, wird es nun viel schwieriger, in ein Nachbarland einzuwandern, das Mitglied ist. Viele Menschen wollen jedoch aus ihrem Land fliehen, weil sie in völliger Armut leben, keine Arbeit finden, keinerlei Perspektiven haben oder politisch verfolgt werden.
Flüchtlinge konnten einst in verschiedenen Staaten einen Asylantrag stellen. Jetzt ist es ihnen nur noch möglich, in einem Land Asyl zu beantragen. Im Falle einer Ablehnung müssen sie die Europäische Union verlassen. Viele Staaten des Schengener Abkommens argumentieren damit, dass sie nicht noch mehr Immigranten aufnehmen können und ihr eigener Wohlstand sowie die Stabilität im Land nicht gefährdet werden darf.
Es gibt aber zahlreiche Menschen, die vor Bürgerkriegen, Diktaturen, Hunger und Armut aus ihrer Heimat flüchten müssen. Die Schengen-Staaten schotten sich nach außen jedoch weiter ab und machen ihre Grenzen dicht. Zahlreiche Menschen in Not versuchen deshalb, unerlaubt in ein Land einzuwandern. Die illegale Migration, bedeutet "verbotene (Ein-)Wanderung", ist ein großes Problem in vielen Ländern wie zum Beispiel Spanien. Schaffen die Flüchtlinge dies tatsächlich, leben sie versteckt am Rande der Existenz. Sie nehmen oft illegale Jobs an, die zweifelhaft, riskant oder schlecht bezahlt sind. Einige stehlen oder werden auf andere Art straffällig, um überleben zu können. Sie sind nicht krankenversichert, können keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen und leben in der ständigen Angst, entdeckt und ausgewiesen zu werden.
Verstärktes Gefälle zwischen Arm und Reich
Das Schengener Abkommen macht es auch vielen Menschen aus Afrika und Asien unmöglich, nach Europa einzuwandern. So genannte Schleuser bieten den Menschen gegen viel Geld an, sie illegal über die Grenzen zu bringen. Darin sehen viele Flüchtlinge, die keine Einreisegenehmigung erhalten, ihren einzigen Weg, den schlimmen Zuständen ihres Landes zu entkommen. Damit nehmen sie aber große Gefahren auf sich.
Viele verzweifelte Afrikaner versuchen, über das Mittelmeer ins reichere Europa zu gelangen. In überfüllten Booten steuern sie auf die spanische Küste zu. Immer wieder sinken die oft schrottreifen Boote, Hunderte von Menschen ertrinken dabei jährlich. Durch das Schengener Abkommen wird das Wohlstandsgefälle zwischen Mitgliedern und außenstehenden Staaten vergrößert. Viele Kritiker werfen den europäischen Industriestaaten deshalb vor, dass die Grenzregelungen zwar zur Sicherheit und zum Wohlstand der reicheren Staaten beitragen - das aber auf Kosten von Flüchtlingen und Menschen in Armut.
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