Krise in Syrien spitzt sich zu

Befindet sich das Land bereits im Bürgerkrieg?

von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak - 13.02.2012

Der "Arabische Frühling" - eine Serie von Volksaufständen in arabischen Ländern seit Ende 2010 - hat auch in Syrien Gestalt angenommen. Seit Februar 2011 kam es zu Demonstrationen und Aufständen, welche durch die syrische Regierung um Präsident Bashar al-Assad gewaltsam unterdrückt wurden. Bereits mehrere tausend Menschen, je nach Quelle (nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 5.000 im Jahr 2011), sind getötet worden. Nach den jüngsten Ausschreitungen ist Syrien außenpolitisch isoliert, im Land herrschen immer mehr bürgerkriegsähnliche Zustände.

Proteste in der ägyptischen Hauptstadt Kairo: Die Menschen zeigen ihre Unterstützung für die Aufstände in Syrien. (Quelle: Al Jazeera English || Wikipedia)

Zurzeit herrschen Chaos und Gewalt in Syrien, einem Staat in Vorderasien, der von Präsident Baschar al-Assad diktatorisch regiert wird. Es gibt in Syrien verschiedene regierungskritische Gruppierungen ("Oppositionsgruppen"), welche ganz unterschiedliche Vorstellungen von der zukünftigen Ordnung im Land haben. Besonders im Ausland lebende syrische Kreise befürworten einen militärischen Eingriff wie zuletzt in Libyen, wo Aufständische mit der Unterstützung durch NATO-Kräfte die Regierung stürzten. Die inländischen syrischen Regierungsgegner hingegen sind mehrheitlich strikt gegen einen militärischen Eingriff aus dem Ausland.

Um die Lage in Syrien zu beschreiben, muss man also genauer schauen, welche Gruppierungen sich gegenüberstehen und wie das politische System Syriens beschaffen ist. Dementsprechend ist auch die Berichterstattung verschieden einzuordnen - also welche Informationen über die Vorgänge im Land aus unterschiedlichen Quellen verbreitet werden. Wichtig in diesem Konflikt ist außerdem, die Rolle des Landes in der Weltpolitik zu betrachten und das Interesse anderer Länder in dieser Region zu bedenken.

Eine Minderheit regiert das Land

Baschar al-Assad ist seit dem Jahr 2000 als Nachfolger seines Vaters Hafiz al-Assad syrischer Präsident. (Quelle: Fabio Rodrigues Pozzebom / ABr || Wikipedia)

Syrien grenzt im Norden an die Türkei, im Südosten an den Irak und im Südwesten an Jordanien, Israel und den Libanon. Das Land verfügt über bedeutende Erdöl- und Erdgasfelder. Die Golan-Höhen im Südwesten sind seit dem "Sechstagekrieg" im Jahr 1967 von Israel besetzt.

Die Mehrzahl der rund 20 Millionen Einwohner des Landes sind Araber, zu den bedeutendsten Minderheiten gehören Kurden, Armenier und die sich zum schiitischen Islam bekennenden Religionsgemeinschaften der Drusen und der Alawiten. Die meisten Syrer sind Angehörige der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, zehn Prozent der Bevölkerung sind christlich.

Vor dem Ende des Ersten Weltkriegs war Syrien dem Osmanischen Großreich einverleibt, ab 1919 teilten die Großmächte Frankreich und Großbritannien den Großraum um Syrien (das historische "Großsyrien") untereinander auf: Palästina, Transjordanien (das heutige Jordanien) und der Irak wurden von Großbritannien, Libanon und Syrien von Frankreich verwaltet.

Die politische Macht befindet sich bis jetzt in den Händen der so genannten "Baath-Partei", die sich auf eine Minderheit der Religionsgemeinschaft der Alawiten stützt, die über die Bodenschätze des Landes verfügt. Die Baath-Partei orientiert sich an Grundsätzen des "Laizismus" - damit ist die strenge Trennung zwischen Religion und Politik gemeint -, des Sozialismus und der Arabischen Einheit (das nennt man "Panarabismus"). Auch das Nachbarland Irak wurde zwischen 1968 und 2003 von der Baath-Partei beherrscht, der ebenso der gestürzte Diktator Saddam Hussein angehörte.

Verhältnis zu den Nachbarstaaten

"Sechstagekrieg": Im Jahr 1967 besetzten israelische Truppen die Golan-Höhen im Südwesten Syriens. (Quelle: Assaf Kutin/© The State of Israel Government Press Office || Wikipedia)

Der heutige Präsident Bashar al-Assad hatte im Jahr 2000 das höchste Amt des Staates von seinem Vater Hafiz al-Assad übernommen. In der Arabischen Liga, dem Zusammenschluss der arabischen Staaten, ist Syrien als entschiedener Gegner der USA und als Verbündeter Irans isoliert - vor allem nach dem militärischen militärischen Einfall im Irak durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und Großbritanniens.

Syrien nimmt Einfluss im Nachbarland Libanon, wo man auch eigene Truppen stationiert hat und im Süden die von den USA und Israel als islamistische Gruppierung geächtete "Hisbollah" unterstützt hat. Diese beteiligte sich am Widerstandskampf der Palästinenser gegen Israel - zuletzt massiv im Libanonkrieg im Jahr 2006. Syrien selbst hat an allen sieben arabisch-israelischen Kriegen seit 1947 teilgenommen und bis heute keinen Frieden mit Israel geschlossen (anders zum Beispiel als andere arabische Staaten wie Ägypten oder Jordanien). Das al-Assad-Regime beziehungsweise der syrische Geheimdienst stehen auch unter Verdacht, in den Mord am libanesischen Präsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005 verwickelt zu sein.

Gleichzeitig sind die militärisch übermächtigen USA, die im Nahen Osten große Kontrolle ausüben, stark daran interessiert, ihren Einfluss in Syrien zu verstärken. Durch den Einmarsch in Afghanistan und den Einmarsch im Irak haben die USA das politische Gleichgewicht im Nahen Osten verändert. Im Iran und auch in Syrien regt sich der Widerstand gegen die Vereinnahmung des Nahen Ostens durch die USA, die vor allem mit Saudi-Arabien und mit Ägypten strategische Bündnisse aufgebaut hatten. Gleichzeitig werden Syrien und der Iran unverändert als Bedrohung für Israel wahrgenommen.

Was passiert im Moment?

Wie auch in Libyen, wo die Regierung gestürzt wurde, kam es in Syrien sowohl zu Demonstrationen für als auch gegen die Regierung um Präsident al-Assad. (Quelle: Sammy.aw || Wikipedia)

Es ist im Land zu terroristischen Anschlägen gekommen, viele Menschen wurden durch Bombenattentate getötet. Gleichzeitig gehen die Regierungstruppen gewaltsam gegen Aufständische vor.

In den westlichen Medien wird überwiegend allein die Regierung al-Assad für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich gemacht. Die Baath-Partei, die 1963 an die Macht gekommen war, hatte innere Unruhen im Land stets mit großer Härte unterdrückt.

Die Bewegung der Regierungsgegner ist allerdings gespalten: Ein Teil will einen friedlichen demokratischen Wandel herbeiführen, während ein anderer Teil (vor allem die politischen Gegner im Exil mit dem 2011 in Istanbul gegründeten "Syrischen Nationalrat") einen militärischen Eingriff der NATO, so wie er vor kurzem in Libyen stattgefunden hat, befürwortet.

Eine "Mission" von Beobachtern der Arabischen Liga hatte sich ein Jahr lang in Syrien aufgehalten, um sich die Lage im Land genauer anzusehen. Im Januar 2012 endete diese Mission, deren Erfolg umstritten ist.

Welche Gruppierungen sind verwickelt?

Die friedlich in Syrien demonstrierenden Menschen stehen den Regierungtruppen und bewaffneten Aufständischen gegenüber. (Quelle: Syria-Frames-Of-Freedom || Wikipedia)

Unter den Aufständischen sind zum einen Anhänger der islamischen Religionsgruppe der Sunniten, so zum Beispiel die Salafisten, welche von der syrischen Regierung für Unruhen verantwortlich gemacht werden. Man kann sagen, dass die sunnitische Mehrheit in Syrien der Hauptträger des Aufstandes ist. Im Ausland hat sich der Syrische Nationalrat gebildet, den man in Syrien aber als von westlichen Staaten beeinflusst wahrnimmt.

In Syrien hat sich der Widerstand im so genannten "Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel" organisiert - dort befürwortet man den friedlichen Protest. Es gibt allerdings auch den militärisch organisierten Widerstand - so zum Beispiel in Gestalt der "Freien Syrischen Armee", welche die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Regierungsarmee sucht. Zu den Aufständischen gesellen sich Söldner, die auch schon am Bürgerkrieg in Libyen teilgenommen hatten.

Die Regierungen der Länder Saudi-Arabien und Katar werden verdächtigt, die Bewaffnung der Aufständischen in Syrien zu finanzieren. Möglicherweise findet eine Unterstützung des bewaffneten Aufstands durch die NATO und US-amerikanische Geheimdienstkreise statt, welche in der Region des Nahen Ostens sehr aktiv sind.

UN-Beschluss gescheitert: Die Gewalt nimmt zu

Schon der frühere Präsident Hafez al-Assad, Vorgänger und Vater von Baschar al-Assad, ließ Volksaufstände mit harter Gewalt niederschlagen. (Quelle: Syrian government || Wikipedia)

Am 4. Februar 2012 scheiterte eine "Resolution", also ein Beschluss, der Vereinten Nationen am Einspruch ("Veto") Russlands und Chinas. Diese Länder äußerten inhaltliche Bedenken und präsentierten einen Gegenentwurf. Natürlich haben diese beiden Länder ebenfalls großes strategisches Interesse an Syrien. Russland und China wollen auf keinen Fall, dass ein Beschluss durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen so interpretiert werden könnte wie vor einiger Zeit in Libyen, wo NATO-Streitkräfte sich aktiv an den Auseinandersetzungen beteiligten.

Dem Sicherheitsrat, der die mächtigste Einrichtung der Vereinten Nationen ist, gehören als ständige Mitglieder neben Russland und China auch die USA, Großbritannien und Frankreich an. In Russland und China befürchtet man, dass die Westmächte nicht nur das syrische Regime stürzen, sondern darüber hinaus einen Miltärschlag gegen den Iran vorbereiten wollen.

Mittlerweile werden syrische Stadtviertel durch die Regierungsarmee auch mit Granaten und Raketen unter Beschuss genommen, so zum Beispiel in der westsyrischen Stadt Homs - dort hat der Einsatz von Panzern am 3. Februar 2012 mehr als 200 Menschen getötet. Es sieht nicht danach aus, dass die syrische Regierung nachgeben würde.

Die Vereinten Nationen prüfen im Moment die Möglichkeit einer Entsendung von "Blauhelm-Soldaten" nach Syrien, um die Gewalt einzudämmen. Die Arabische Liga, welche Syrien ausgeschlossen hat, unterstützt ein solches Vorhaben und würde sich an dem Einsatz beteiligen. Das syrische Regime hingegen lehnt eine UN-Friedensmission und die Vorschläge der Arabischen Liga ab. Es ist zu befürchten, dass die Gewalt im Land sich weiter steigert - eine friedliche Lösung ist nicht in Sicht.

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letzte Aktualisierung: 13.03.2012

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